NZZ Akzent: Der Absturz des Jewgeni Prigoschin

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 8/25/23 - Episode Page - 16m - PDF Transcript

In der Nacht auf den 24. Juni zettelt Iefgeni Prigoshin, der Anführer der Wagner-Truppe,

einen Aufstand gegen die russische Militärführung an.

Am frühen Morgen fahren seine Kämpfer mit Panzern in die russische Stadt Rostov am

Don ein, nehmen dort ein militärisches Hauptquartier ein und machen sich dann im Verlauf des Tages

auf in einem riesigen Konvoi in Richtung Moskau. Prigoshin selbst nennt das einen Marsch der

Gerechtigkeit und fordert er eigentlich ultimativ die Absetzung des Verteidigungsministers und des

Oberkommandierenden über den Krieg in die Ukraine. Das hat dann aber nicht ganz funktioniert. Das

hat nicht funktioniert. Prigoshin ist gescheitert, musste seinen Aufstand abbrechen. Zu diesem

Zeitpunkt gingen alle davon aus, okay, jetzt ist es vorbei mit Prigoshin. Putin hat ihn

als Verräter bezeichnet und Putin sagt immer, Verräter mit ihnen kennt er keine Gnade. Aber

trotzdem, und das war überraschend, ließ Putin Prigoshin danach straffrei ziehen.

Und jetzt ist die FGNP Prigoshin tot. Was das für Russland und den Krieg in der

Ukraine bedeutet, bespreche ich mit Ausland Redaktor Jonas Roth. Ich bin Antonia Moser.

Jonas, zuerst, was hast du gedacht, als am Mittwochabend diese Nachricht kam?

Ich habe gerne Prigoshin, ist tödlich verunglückt.

Zuerst einmal, wenn das stimmt, ist das eine Riesennachricht. Aber wie es auch immer bei

Nachrichten aus Russland, kommen immer sofort bei mir als Journalist Zweifel auf. Ist das

wirklich so? War Prigoshin tatsächlich an Bord, wie das vermeldet wurde? War es eine Bombe? War es

ein Abschuss? Ein politischer Mord? Diese Fragen muss man sich dann stellen, weil oftmals ist es nicht

politischer Mord. Was hast du gedacht?

Es wäre wahrscheinlich, es gibt Hinweise darauf, die für eine solche These sprechen. Beweisen können

wir das Stand jetzt natürlich nicht. Wahrscheinlich wird man es nie ganz beweisen können.

Aber fest steht, Prigoshin ist ja eine schillernde Figur. Wir haben auch schon einige

Podcast-Folgen über ihn gemacht und über die Wagner-Truppen. Vielleicht haben jetzt nicht

alle Folgen gehört. Schade ist, aber kommt vor. Deshalb noch mal die Frage, wer ist denn eigentlich

Evgeni Prigoshin? Prigoshin war eigentlich Unternehmer, ist aber eine ganz zwielichtige

Gestalt und hat sich dann aufgeschwungen zu einer Art Feldherrn dieser Privatarmee Wagner und er ist

der Chef und das Gesicht dieser paramilitärischen Truppe. Besonders seit dem Ukrainekrieg ist

Prigoshin in diesem Zusammenhang omnipräsent. Dabei geht vergessen, dass seine Privatarmee von

Russland eigentlich schon seit Jahren in diversen Konflikten auf der ganzen Welt eingesetzt wird,

zum Beispiel auch in Afrika, in Syrien haben sie im Bürgerkrieg gekämpft und grundsätzlich ist

diese Wagnergruppe organisiert wie ein Unternehmen. Das heißt? Sie bieten eigentlich auf der ganzen

Welt Sicherheitsdienstleistungen an. Sie stützen zum Beispiel zweifelhafte Regimes, sie bewachen

Infrastruktur. Man kann die eigentlich einfach so buchen grundsätzlich und dafür verdienen sie

Geld, manchmal nicht in Bars, sondern auch sie erhalten Konzessionen für Goldmienen oder andere

Sachen, mit denen sie dann Geld verdienen können. Und die Wagner-Truppen haben den Ruf sehr brutal

zu sein. Es werden in diverse Menschenrechtsvergieren angelastet. Es gibt auch diese Beispiele,

wo angebliche Deserteure mit dem Vorschlaghammer erschlagen werden. Und Prigoshin ist einer,

der sehr mit dieser Gewalt spielt, das auch zelebriert. Dieser Vorschlaghammer ist so zu einem

inoffiziellen Symbol der Wagner-Truppen geworden. Er ist eigentlich ein wirklich grobschlechtiger

Typ, ein gewaltbereiter Typ, der keines Gruppel kennt und deswegen war er im Ukrainekrieg auch

eine so nützliche Waffe für Putin. Also da waren viele Wagner-Truppen im Einsatz? Genau, da haben

tausende Wagner-Truppen gekämpft. Einerseits handelte sich dabei um Elite-Soldaten, die wirklich

eine gute Ausbildung hatten und effizient kämpfen konnten. Andererseits waren das aber auch in

Gefängnissen rekrutierte Strafgefangene, die er da einfach rausgeholt hat und zum Beispiel in

der Schlacht Umbach-Muth als Kanunenfutter eingesetzt hat. Hier hören wir, wie Prigoshin bei

einem Auftritt in einem russischen Gefängnis versucht, Strafgefangene zu rekrutieren und ihnen

im Gegenzug für einen sechsmonatigen Einsatz die Straffreiheit verspricht. Aber natürlich nur

für den Fall, dass sie überleben sollten. Das ist eine sehr marzialische Ansprache so,

wie man es sich von Prigoshin gewohnt hat. Und wenn er da Strafgefangene rekrutieren kann,

in Gefängnisse gehen kann, dann hat er offensichtlich den Segen des Kremls dafür. Das ist ein offenes

Geheimnis, das ist ganz klar, dass so etwas nur mit dem Segen des Kremls passieren kann. Aber man

muss schon auch sehen, dass der Kreml natürlich sehr von so einer Methode profitiert. Der Kreml

bekommt so billige Kämpfer, muss selber keine unbeliebte Mobilisierung durchführen, um neue

Soldaten zu rekrutieren. Gleichzeitig kann der Kreml sagen, ja das sind ja nicht unsere, wir

müssen für die keine Verantwortung übernehmen, für allfällige Gräueltaten, das waren ja nicht

wir, sondern das waren die Jungs von Wagner. Aber wenn jetzt der Kreml und eben Prigoshin und die

Wagnertruppen so gut zusammenarbeiten, warum kam es denn zu diesem Putschversuch? Also ganz so

rosig war die Zusammenarbeit nicht, nicht zwingend zwischen dem Kreml und Prigoshin, sondern zwischen

Prigoshin und der Militärführung, insbesondere dem Verteidigungsminister Sergej Scheuge. Er hat

immer wieder die Militärführung kritisiert, sie sei unfähig diesen Krieg auszufechten und hat

sie auch beschuldigt, ihn sozusagen auszuhungern, nämlich ihm Artilleriemonitionen, die er dringend

benötigte, vorzuenthalten. Was davon alles stimmt und wie dieser Streit wirklich abgelaufen ist,

ist unklar. Klar ist, Prigoshin hat über Monate hinweg einen großen Streit mit dem Verteidigungsministerium

angezettelt und immer wieder öffentlich in Videos und in Posts in seinen Kanälen direkt Kritik

geübt an der russischen Militärführung. Was er aber nie angetastet hat, war die Autorität von Putin.

Und was ist dann aber passiert? Ja, dann kommt eben dieser Juni, wo man davon ausgeht, dass sich

Prigoshin dermaßen von der Militärführung in die Ecke gedrängt fühlte, dass er eine verzweifelte

Flucht nach vorne wagte. Er besetzte dieses Militärhauptquartier und inszenierte diesen scheinbar

patriotischen Marsch für Gerechtigkeit auf Moskau und sein Ziel muss es wohl gewesen sein, dass sich

Putin von der Militärführung abwendet und sich auf seine Seite schlägt. Das war, wie sich aber

herausgestellt hat und wie Prigoshin vielleicht hätte wissen müssen, eine fatale Fehlkalkulation.

Vor einer Dreiviertelstunde verkündet der Söldnerchef, er werde umdrehen,

seinen Marsch auf Moskau abbrechen, um, Zitat, Blutvergießen zu verhindern.

Eigentlich hätte ihm klar sein müssen, dass ein solcher Aufstand in Putins Augen einen

direkten Angriff auf seine Macht darstellt. Wie gesagt, Putin hat Prigoshin dann auch

als Verräter bezeichnet und der Marsch auf Moskau wurde dann auch gestoppt. Rund 250 km vor der

russischen Hauptstadt drehte der Konvoi von Prigoshin um. Die Wagner Söldner sind unterdessen wieder

in ihre Feldlager zurückgekehrt. Jevgeny Prigoshin selbst kommt ohne Strafe davon. Er muss aber nach

Belarus ins Exil. Es ist wohl so, dass der weißrussische Präsident Alexander Lukoschenko hier

vermittelt hat, irgendeinen Deal ausgehandelt hat. Auf jeden Fall endete es dann damit, dass einige

Tausend Wagner Truppen nach Weißrussland gingen und dass die Ermittlungen und die Anklagen

gegen Prigoshin fallen gelassen wurden. Aber da kommt er irgendwie noch gut davon, oder? Ja,

sogar überraschend gut. Also wer in Russland einen solchen Aufstand inszeniert, würde normalerweise

eigentlich nicht so glimpflich davon kommen. Aber vieles blieb unklar. Wir haben diese Wagner Truppen

dann in Weißrussland gehabt, wo genau sich Prigoshin aufhielt, war nicht so klar. Er hat darauf

sich offenbar dann doch mal noch mit Putin im Kreml. Aber dann wurde er sehr ruhig, verdächtig,

ruhig. Bis eigentlich diese Woche am Montag tauchte plötzlich ein Video auf, wo sich Prigoshin

angeblich aus Afrika meldete. Afrika, was macht er jetzt dort? Also in dem Video sieht man ihn in

voller Militärmontur mit einem Stromgewehr in der Hand und er hält da eine kleine patriotische

Ansprache, wo er sagt, ja, im Namen Russlands bekämpfe er jetzt da Terroristen, Kämpfe gegen den

islamischen Staat, gegen Al-Qaeda und suggerierte eigentlich mit diesem Auftritt, hey, Wagner,

diese große Privatarmee, da ist jetzt Business as usual, wir werden wieder für unsere Sicherheitsdienstleistungen

bezahlt. Aber in der Realität ist zu diesem Teipunkt das ganze Wagner-Gebilde schon sehr stark am

Wackeln. Was heißt das? Also einerseits heißt das, dass Wagner seine einst eminent wichtige Rolle im

Krieg in der Ukraine verloren haben. Die Wagner-Truppen haben sich von der Front zurückgezogen und

kämpfen jetzt nicht mehr in diesem Krieg. Andererseits haben sich auch in der Führung Risse aufgetan,

weil offenbar auch unter Einfluss des Verteidigungsministeriums und des Kremls Wagner-Kommandanten

abgeworben werden für andere Militärfirmen. In Russland gibt es Dutzende solcher privaten

Militärunternehmen, die ihre Sicherheitsdienstleistungen anbieten. Alleine seit dem Beginn des

Ukrainekriegs sind wohl rund 10 neue entstanden. Das sind ähnliche Konstrukte wie Wagner. Wagner

ist eigentlich die größte. Und es gibt jetzt eben Hinweise darauf, dass einige dieser Gruppen das

Afrika-Geschäft von Wagner übernehmen sollen. Dass man eigentlich darauf hinarbeitete Wagner

nun auch aus Afrika zu verdrängen. Also kann man sagen, mit Wagner geht es langsam aber sicher zu

Ende. Das kann man so sagen. Und der mutmaßliche Tod Prykoshins ist jetzt ein spektakulärer

Schlusspunkt dieser Geschichte. Was ist denn da genau passiert? Das ist noch nicht so klar. Also man

weiß, da ist ein Flugzeug gestartet in Moskau, aufgestiegen auf rund 10.000 Meter. Und das

nächste, was man kennt, ist ein Video, wo man ein rauchendes Flugzeug zu Boden stürzen sieht,

das dann auf der Erde zerschält. Es ist unklar, ob das abgeschossen wurde, ob eine Bombe an Bord war.

Klar ist, alle Insassen des Flugzeugs kommen ums Leben. Und wenig später

wird schon in russischen Medien berichtet, dass auf der Passagierliste auch der Name

Yevgeny Prykoshin stehe und auch einige seiner Vertrauten sollen da an Bord gewesen sein. Das ging

ungewöhnlich schnell, dass man da wusste, wer angeblich in dieser Maschine saß. Auch das

Staatsfernsehen vermeldete, dass schon ziemlich bald und emotionslos nach dem Absturz der Maschine.

Du sagst ungewöhnlich schnell. Ist das doch ein Hinweis, dass da wirklich Russland dahinter stecken könnte?

Es ist Russland. Wir werden es wohl nie herausfinden, aber klar ist, der Tod von Prykoshin kommt dem

Kreml wohl nicht ungelegen. Also wie genau? Also selbst wenn es sich bei diesem Absturz jetzt um

einen Unfall gehandelt haben sollte, natürlich geht jetzt jeder davon aus, dass der Kreml dahinter

steckt. Die gehen von einem Abschluss aus, von einer Bombe. Und das ist natürlich ein Signal der

Einschüchterung an alle, die sich potenziell mit dem Kreml anlegen wollen. Man überlegt sich dann

zweimal, ob man solche Gedanken überhaupt hicken soll. Hat denn dieser Tod von Yevgeny Prykoshin

auch Folgen für den Krieg in der Ukraine jetzt konkret? Unmittelbar hat das eigentlich keine

Folgen, weil wie gesagt die Wagner Truppen befinden sich nicht mehr an der Front in der

Ukraine, greifen da nicht ins Kriegsgeschehen ein. Und die Lücke, die diese Wagner Soldaten hinterlassen

haben, wurden längst ausgefüllt einerseits durch reguläre Truppen oder durch andere

Privatarmeen, die da auch kämpfen. Denn der Kreml verlässt sich nach wie vor sehr gerne auf diese

Privatarmeen, die Aufgaben übernehmen, für die sich andere Truppen zu schade sind, die gewisse

Aktion nicht riskieren wollen. Diese Privatarmeen lassen sich gut einsetzen für die Drecksarbeit in

der Ukraine. Also Wagner ist weg, aber eigentlich läuft es in der Ukraine weiter wie bisher?

Grundsätzlich ja. Etwas hat sich schon geändert. Das Verteidigungsministerium hat sich nämlich

diese Privatarmeen etwas näher zu Brust genommen, die Zügel etwas gestraft. Das ist jetzt besser

organisiert unter der Führung des Verteidigungsministeriums, weil man hat natürlich gelernt aus dieser

Wagnermäuterei vom Juni, dass es gefährlich ist, wenn man einfach irgendwelchen Wildwuchs an

Privatarmeen mit Zwielichtengestalten an der Spitze hat. Und so hat eigentlich Putin hat auch die

Armeeführung jetzt ihre Position gestärkt. Sie haben einen Kritiker verloren oder ausgeschaltet.

Und ja, jetzt dürfte eigentlich allen klar sein, wer sich mit Putin anlegt, der zahlt einen hohen

Preis. Danke Jonas, dass du bei uns im Studio warst. Gerne. Das war unser Akzent. Produzent dieser

Folge war David Vogel. Ich bin Antonia Moser. Informiere dich schnell, kompakt und fokussiert

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Mit dem Ableben des unbequemen Truppenführers wird der Kreml den Mann los, der im Sommer eine Meuterei gegen die Armeeführung Russlands angezettelt hatte. Was sind die Folgen von Prigoschins Tod?

Heutiger Gast: Jonas Roth, Auslandredaktor

Host: Antonia Moser

Produzent: David Vogel

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/russland-wagner-chef-prigoschin-vermutlich-bei-flugzeugabsturz-umgekommen-ld.1752972
https://www.nzz.ch/meinung/prigoschin-putins-regime-inszeniert-eine-oeffentliche-hinrichtung-ld.1752993

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