NZZ Akzent: Bukele, der «coolste Diktator» der Welt

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 9/26/23 - Episode Page - 17m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird präsentiert vom Zürich Filmfestival.

NCZ-Aktzent.

Was hören wir da?

Großer Jubel, das ist das Jahr 2015.

Najib Boukele, ein junger dynamischer Politiker aus El Salvador.

Ein sehr smarter Typ mit einem perfekt sitzenden Anzug

ist gerade zum Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador gewählt worden.

Und tritt vor die Presse mit vielen Versprechen.

Er will gegen die Ungerechtigkeit im Land kämpfen, gegen Armut.

Sozialle Ungleichheit, das verspricht er.

Was war eine sehr soziale Agenda eigentlich?

Ja, er gibt sich sehr human.

Das ist sein Ansatz.

In diesem Moment, vor acht Jahren, glaubt er daran,

dass soziale Probleme nicht mit Gewalt zu lösen sind,

sondern nur zu einer endlosen Gewaltspirale führen.

Er glaubt daran, dass man Sozialpolitik für die Lösung

solcher Probleme braucht.

Jetzt, wir sind acht Jahre später, zeigt Boukele ein anderes Gesicht.

Er ist mittlerweile Präsident des Landes, also von El Salvador.

Und er regiert sehr autoritär und er macht auch daraus kein Geheimnis.

Er bezeichnet sich selber als der coolste Diktator der Welt.

Najib Boukele führt einen brutalen Feldzug

gegen die Bandenkriminalität in seinem Land

und hat damit auch Erfolg.

Doch er überschreitet die Grenzen des Rechtsstaats,

sagt Korrespondent Thomas Milz.

Ich bin Antonia Moser.

Thomas, übernach Boukele haben wir im Akzent schon einmal gesprochen,

aber ganz in einem anderen Zusammenhang.

Ja, genau, das war 2021, als in El Salvador der Bitcoin eingeführt wurde.

Boukele hat die Kryptowährung als offizielle Währung eingeführt,

neben dem US-Dollar.

Und ja, seitdem es viel passiert, zwischenzeitlich ist der Bitcoin abgestürzt.

El Salvador war am Rand der Zahlungsunfähigkeit.

Das Land ist in eine Krise geschlittert, auch in Bezug auf Gewalt.

Die Gewaltraten waren am sinken.

Und dann, Anfang dieses Jahres, ist es zu einer schlimmen Gewaltwelle gekommen,

zu einer Terrorwelle.

Kriminelle Banden haben innerhalb von wenigen Tagen fast 100 Menschen ermordet.

Was meinst du genau mit kriminellen Banden?

Ja, seit Ende des Bürgerkriegs, Anfang der 90er-Jahre,

gewinnen Jugendbanden immer mehr ein Einfluss.

Jugendbanden, die heißen Maras, dann gibt es verschiedene Gruppen,

das ist Bario de Siorgio oder Marasalvatrucha.

Und die dienen mit Drogen und verdienen sehr viel Geld

durch Schutzgelderpressungen, Entführungen, also Erpressung von Lösegeld.

Und das Spannende ist, man erkennt sie eigentlich sehr leicht daran,

dass die Mitglieder sehr viele Tätowierungen haben.

Die haben oft die Haare wegrasiert, haben sich Tätus auf der Kopfhaut

im Gesicht, unter den Augen, auf dem Hals, der ganze Oberkörper.

Teilweise auch Arme und Beine sind voll mit Tätowierungen.

Und dann steht dann auch oft der Name dieser Mara.

Und ein großes Problem ist, dass diese Banden sich gegenseitig bekämpfen

auf sehr brutale Art und Weise.

Das sind Kämpfe zwischen von einer Straßenseite zur nächsten

oder von einem Stadtviertel und dem anderen.

Und das geht sehr brutal zu.

Und wer sich denen in den Weg stellt, der wird weggeräumt

auf brutalste Art und Weise.

Das ist also eine Art Mafia.

Und diese Mafia terrorisiert die Bevölkerung

und besonders dort die Mittelschicht und die Armebevölkerung.

Und die Politik macht die da nichts?

Ja, in den letzten Jahrzehnten haben eigentlich alle Präsidenten versprochen,

dass sie dieses Gewaltproblem in den Griff bekommen wollen und auch werden.

Aber es ist nicht viel passiert, weil die Banden sind letztlich zu mächtig.

Politiker und die Banden sind auch voneinander abhängig,

weil wenn ein Politiker Wahlkampf machen will in den armen Vierteln,

muss er einen Abkommen haben mit einer Bande.

Und außerdem gibt es Vermutung, dass auch sehr viele Polizisten,

Soldaten auch gemeinsame Sachen machen mit diesen Banden.

Und aus diesem Gebräu ist halt entstanden,

dass Salvador eines der gefährlichsten Länder der Welt geworden ist

im Laufe der Zeit.

Und du hast dir gesagt, auch unter Naib Bukele letztes Jahr

grät die Gewalt wieder außer Kontrolle.

Ja, ganz genau. Bukele will die Gewalt in den Griff bekommen.

Wenn wir den Regierung beginnen,

sind wir mit dem Kabinett von Sicherheit.

Und wir sagten, wir werden den Kontroll- und Kontroll-Terrektorien erlangen.

Jetzt aber wirklich, nach dieser Terrorwelle Anfang letzten Jahres,

im März, scheint er wirklich ernst zu machen, er greift durch.

Und es gibt nur noch, in Bezug auf die Banden, nur noch eine Sprache.

Und das ist die pure Gewaltrepression.

Was macht Bukele denn?

Ja, er lässt Bandmitglieder oder mutmaßliche Bandmitglieder

im großen Maße einsperren.

Es gibt Massenverhaftungen voller Willkür.

Da reicht oft ein Verdacht, ein anonymer Hinweis.

Und schon holt die Polizei jemanden ab und steckt ihn ins Gefängnis.

Und das letzte Beispiel dieser Politik war Anfang August.

Da hat Bukele in der Region Cabanyas, das ist die Grenzregion zu Honduras,

8.000 Sicherheitskräfte losgeschickt, die haben Wälder durchkämmt

und Dörfer komplett abgesperrt.

Warum das?

Ja, es gab Hinweise aus der Bevölkerung,

dass einige Bandmitglieder aus Großstädten in diese Region geflohen sind,

um sich vor den Sicherheitskräften zu verstecken.

Und deshalb war dort das Militär unterwegs,

hat Jugendliche und Männer sich geparkt, hat die auf der Straße angehalten,

hat ihnen die Händen ausgezogen,

weil sie nämlich nach diesen Tätowierungen gesucht haben.

Und wenn man eine hat, dann kommt er ins Gefängnis?

Genau, sobald man jemanden findet, der auch nur verdächtig ist,

wird er ins Gefängnis gesteckt.

Das waren in den letzten eineinhalb Jahren 72.000 Personen.

Okay.

Um das mal einzuordnen, die Leute wissen vielleicht nicht,

wie viel Einwohner El Salvador hat,

bei etwa 6,3 Millionen Einwohnern heißt das,

dass 2% aller Männer im Gefängnis sitzen

und bei den 14 bis 19-Jährigen sind das sogar 7%.

Heißt, es gibt kein anderes Land auf der Welt,

wo im prozentualen Vergleich so viele Menschen

im Gefängnis sitzen wie in El Salvador.

Krass.

Hat Naib Boukele denn überhaupt Platz für so viele Gefangene?

Ja, eigentlich hat El Salvador nur wenige kleine Gefängnisse,

die dann sehr schnell aus allen Nähten platzten.

Er hat dann in Rekordzeit ein Mega-Gefängnis bauen lassen,

das im Februar eingeweiht wurde.

Guten Nacht, Herr Präsident.

Bienvenido al Centra Confidamento del Terrorismo.

Es gibt da ein beeindruckendes Video,

das kann man online sehen.

Es ist eine Tour durch dieses Gefängnis,

Boukele geht durch dieses Gefängnis

und ihm wird das Gefängnis vorgestellt.

Es ist beeindruckend, es ist 23 Hektare groß,

dieser Gebäudekomplex,

es ist das größte Gefängnis Lateinamerikas

und es passen 40.000 Inhaftierte hinein.

Und es ist gebaut wie eine Festung,

also auch die Strom- und Wasserversorgung sind total autonom,

alles ist abgelegen, das ist uneinnehmbar.

Und dieses Gefängnis ist jetzt gefüllt mit Gangmitgliedern?

Ja, genau, das ist mittlerweile gut gefüllt.

Und auch das hat Boukele meisterhaft inszeniert.

Er kommt nämlich aus der Werbebranche

und hat nun auch immer ein Profiteam dabei,

was seinen Alltag filmt

und das wunderbar inszeniert und aufbereitet für soziale Medien.

So hat er auch die Füllung dieses Gefängnisses gefilmt.

Und zwar sieht man, wie die Gefangenen

in Bussen zu den Gefängnissen gefahren werden.

Sie sind praktisch nackt,

sie haben nur weiße Boxershorts, sie haben keine Schuhe.

Sie sind an Händen und Füßen gefesselt

und sie werden von schwarz vermummten Soldaten

oder Gefängniswärtern,

werden sie durch die Gänge geschreucht

und sie gehen im gebückten Gang,

einer nach dem anderen,

die Hühner auf einer Reihe gehen sie,

werden sie durch diese Gänge geschreucht.

Und das Ganze hat so eine gute Qualität.

Man denkt, das ist eine Netflix-Produktion.

So perfekt ist das inszeniert.

Das sind krasse Bilder.

Darf Boukele denn das überhaupt?

Also einfach alle festnehmen

und ins Gefängnis schmeißen?

Ja, rechtlich gesehen, da war das.

Und zwar, weil der Ausnahmezustand ausgerufen wurde.

Das bedeutet, dass Grundrechte aufgehoben sind.

Leute können einfach eingesperrt werden auf Verdacht.

Entweder der Verdacht der Sicherheitskräfte

oder ein anonymer Hinweis.

Es gibt da gar keine Fristen.

Sie haben kein Anrecht, ihren Anwalt zu sehen

und viele Familien berichten,

dass sie seit Monaten keinerlei Kontakt

mit den Personen haben.

Und das gilt seit März letzten Jahres,

als diese Terrorwelle über das Land lief.

Und bis heute gilt dieser Ausnahmezustand,

weil er jeden Monat erneut verlängert wird.

Aber gibt es da irgendwelchen Widerstand dagegen?

Ja, es gibt sehr viel Kritik von Menschenrechtsorganisationen.

Sowohl in El Salvador, aber halt auch im Ausland.

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch

verlangen von der Regierung,

dass man sich an Standards hält,

an Rechtsstaatlichkeit hält,

dass es transparente Prozesse gibt.

Und auch westliche Regierungen,

hier vor allem die USA und die Europäische Union,

haben die Regierung auch ermahnt,

sich an diese Standards zu halten.

Und werfen die Regierung vor,

dass dieses Verhalten letztlich das Verhalten

eines autoritären Regimes wäre.

Wir sind gleich zurück.

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In El Salvador bei der Bevölkerung,

wie kommen dort diese Massenverhaftungen,

das Megagefängnis und der Ausnahmezustand an?

Und sehr gut an, weil die Zahlen Bokehle recht geben.

2015 hatte El Salvador

noch eine Mordrate von über 100 Morden

pro 100.000 Einwohner.

Das ist mittlerweile auf acht heruntergegangen.

Das ist eine massive Senkung.

Ja, und gleichzeitig natürlich,

und aufgrund dieser Senkung

sind seine Zustimmungswerte im Land

auf über 90 Prozent gestiegen.

Aber eben du hast gesagt,

das Ganze hat auch einen Preis irgendwie.

Ja, natürlich.

Der Rechtsstaat wird untergraben.

Sowohl bei der Bekämpfung von Bandenkriminalität,

aber auch sonst zeigt Bokehle autoritäre Züge.

Nachdem er die Parlamentswahlen gewonnen hat,

hat er kritische Richter ersetzen lassen.

Innerhalb der Regierung

hat er Schlüssepositionen mit Familiengliedern besetzt.

Es gibt insgesamt sehr wenig Transparenz.

Und da kommt die Kritik auf,

dass dieses Land sich immer mehr

zu einem autoritären Regime entwickelt.

Aber ich muss sagen,

ich bin da auch ein bisschen hin- und hergerissen.

Natürlich möchte ich auch nicht

in einem autoritären Regime leben.

Aber angesichts dieser Gewalt in El Salvador,

da kann ich schon auch verstehen,

dass man sagt, ja gut,

nehmen wir dieses Autoritäre in Kauf,

dafür haben wir weniger Gewalt.

Ja, ganz genau.

Und genauso wird es auch in anderen Ländern

in Lateinamerikas wahrgenommen.

Und zwar hat Bokehle Millionen Follower

auf sozialen Netzwerken

und zwar auf dem ganzen Kontinent.

Und Umfragen zeigen,

dass er der beliebteste Politiker

in Lateinamerikas ist.

Auch deshalb, weil die Bandenkriminalität

nun mal in ganz Lateinamerika

mittlerweile ein Riesenproblem ist.

Und da ist er zum Idol geworden,

zu einer Art Vorbild.

Und zum Beispiel im Nachbarland Honduras

ist jetzt ebenfalls der Ausnahmezustand verhängt worden.

In Peru hat der Bürgermeister der Hauptstadt Lima

ebenfalls die Armee auf die Straße geschickt

und nennt das Plan Bokehle.

Und dann haben wir noch Haiti,

das Land mit der schlimmsten Bandenkriminalität.

Dort hat die Regierung Bokehles Team gebeten,

einen Masterplan auszuarbeiten,

um die Gewalt zu bekämpfen.

Heißt das Bokehles Modell

als Vorbild für ganz Lateinamerika?

Leider muss man sagen,

dass autoritäre Regierung dort wieder

an Zuspruch gewinnen,

was auch ein bisschen am Scheitern der Demokratie

in den letzten 20 Jahren liegt.

Weil die es nicht geschafft haben,

dieses immer stärker werdende Gewaltproblem

in den Griff zu bekommen,

also Drogengewalt, Kriminalität.

Und die Bürger schieben die Schuld auf die Demokratie.

Und viele wünschen sich nun einen Präsidenten,

der hart durchgreift,

einen Präsidenten mit harter Hand.

Und das hat zur Konsequenz,

dass auch historische Figuren,

wie der brutale Diktator Pinochet in Chile,

plötzlich wieder positiver gesehen werden.

Weil man sagt, das war wenigstens jemand,

der sich gegriffen hat.

Und da ist es auch ganz interessant zu sehen,

dass das Wort Menschenrechte

oft schon zu einer Art Schimpfwort geworden ist.

Weil die Leute sagen, ja, immer wenn man von Menschenrechten redet,

heißt das, man verteidigt die Rechte der Kriminellen,

aber nicht die Rechte der Bürger.

Und da bringt Bokehle natürlich alles mit,

was sich die Menschen wünschen.

Er ist jung, er ist dynamisch, er gibt sich modern.

Gleichzeitig hat er diese knallharte Seite,

greift der Knallhardt durch.

Und das ist so ein bisschen die perfekte Mischung.

Also Bokehle ist so eine Art Retterfigur, kann man das sagen?

Ja, ich meine, in Lateinamerika ist streng katholisch geprägt.

Und Retterfiguren erscheinen da oft und gerne.

Und die haben dann auch oft und gerne magische Lösungen.

Aber in der Realität erweisen die sich dann nicht als so magisch und so einfach.

Ich denke, Bokehle ist erfolgreich,

weil El Salvador nun mal auch ein kleines Land ist,

deshalb so groß wie die Schweiz.

Und er trifft dort auf Jugendbanden.

Ich denke, in anderen Ländern wie Kolumbien oder Mexiko,

wo es wirklich professionelle Drogenkatelle gibt,

die ausgerüstet sind wie Streitkräfte,

da wird er nicht so leichte Hand haben.

Und da wird auch so hartes Durchgreifen zu nichts führen,

sondern nur ein immerwährendes Gemetzel nach sich ziehen.

Und da würde die Politik der harten Hand dann auch rasch an ihre Grenzen stoßen.

Thomas, danke vielmals.

Gerne.

Das war unser Akzent.

Produzent dieser Folge war David Vogel.

Ich bin Antonia Moser. Bis bald.

Machine-generated transcript that may contain inaccuracies.

Nayib Bukele, der Präsident von El Salvador, hat der Bandenkriminalität den Kampf angesagt. Medienwirksam lässt er Mitglieder verhaften und ins Gefängnis stecken. Rechtsstaatliche Prinzipien sind ihm dabei weniger wichtig.

Heutiger Gast: Thomas Milz

Host: Antonia Moser

Produzent: David Vogel

Weitere Informationen zum Thema: https://www.nzz.ch/international/mit-harter-hand-gegen-kriminalitaet-el-salvadors-bukele-ist-populaer-ld.1750384

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