NZZ Akzent: Bodenoffensive: Was ist Israels Plan?

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 11/1/23 - Episode Page - 17m - PDF Transcript

Nun wurde der Bodeneinsatz im Gaserstreifen massiv ausgebaut von einer neuen Phase des Krieges.

Es schlägt Israel noch mal härter zurück, auch mit Bodentruppen.

Jonas, ist das nun die erwartete Bodenoffensive im Gaser?

Ja, wenn du meinst, dieser überwältigende, plötzliche militärische Schlag mit Tausenden von Panzern und Soldaten,

die von allen Seiten in den Gaserstreifen einrücken, das ist es nicht.

Was aber nach den Informationen, die verfügbar sind, sagen kann,

ist, dass durchaus diverse Panzer und Soldaten in den Gaserstreifen vorgerückt sind und dort die Hamas bekämpfen.

Es ist wohl der Anfang einer groß angelegten Bodenoffensive, aber die Informationen sind spärlich,

vieles liegt im Dunkeln und ganz genaue Aussagen dazu, was im Gaserstreifen passiert, kann ich leider nicht machen.

Seit dem Wochenende rückt die israelische Armee auch mit Bodentruppen immer weiter in den Gaserstreifen vor.

Auslandredaktor Jonas Roth ordnet die Ereignisse der letzten Tage ein.

Ich bin David Vogel.

Wann war denn für dich klar, so in den vergangenen Tagen, dass dieser Krieg jetzt in eine neue Phase getreten ist?

Von Klarheit zu sprechen ist immer schwierig in diesem Krieg, wo ich etwas nervös geworden bin, war am Freitagabend.

Da hat sich zuerst ein Sprecher der IDF der israelischen Armee gemeldet und gesagt,

man werde über Nacht die Bodenaktivitäten im Gaserstreifen ausweiten.

Es hatte zuvor einzelne so nadelstichartige Bodenooperationen gegeben, aber die hatten sich immer gerade wieder zurückgezogen

und diesmal schien es aber etwas anderes zu sein.

Am Freitagabend sind auch die Internet- und Telefonverbindungen in Gaser zusammengebrochen

und da wurden in verschiedenen Kanälen schon Gerüchte und Spekulationen laut, jetzt könnte es losgehen.

Am Samstagmorgen hat die israelische Armee ein Video oder mehrere Videos veröffentlicht, wo man tatsächlich sieht,

da sind dutzende Panzer und Soldaten in den Gaserstreifen vorgedrungen.

Man sieht sie durch eine Kamera aus der Luft, das sind so schwarz-weiße Nachtaufnahmen,

die stoßen davor und bekämpfen irgendwelche Ziele, aber auch da waren die Informationen sperrlich.

Bis auf diese Videos und die Statements, die von der israelischen Armee veröffentlicht wurden,

hatte man keinen genauen Einblick in das Ausmaß der Kämpfe im Gaserstreifen.

Am Samstag tritt auch Ministerpräsident Benjamin Netanyahu auf.

Er hält eine Pressekonferenz ab, flankiert von seinem Kriegskabinett,

an seiner Einheitsregierung, die gebildet worden war nach dem terroristischen Angriff vom 7. Oktober.

Neben Netanyahu sitzen sein Verteidigungsminister Joav Garland und Benny Gantz,

der war vorher ein erbitterter Gegner von Netanyahu, ein Oppositionspolitiker

und er ist aber auch ein sehr anerkanter ehemaliger Oberbefelshaber der israelischen Armee

und wurde in diese Regierung geholt, um jetzt diesen Krieg zu führen.

Die drei Herren, die tragen alle schwarze Hände?

Genau, und sitzen da an diesem Tisch hinter ihnen, die Israel flacken

und soweit ich weiß, war das der erste Auftritt dieser Kriegsregierung vor den Kameras

und mit diesem Auftritt wollte Netanyahu mit seiner Regierung wohl auch eine Einheit demonstrieren.

Sie erleben man eigentlich mit Netanyahu immer alleine.

Was sagt er denn?

Das ist der Sala-Wa-Sheni von der Milch.

Netanyahu hat wie schon oft seit dem 7. Oktober eine relativ marzialische Rede gehalten.

Er hat sich da konkret geäußert, dass der Krieg jetzt in eine zweite Phase getreten sei

und in dieser zweiten Phase seien die Ziele klar.

Es geht einerseits um die Zerstörung der Hamas, ihrer militärischen Kapazitäten

und ihrer Regierung im Gaserstreifen

und es geht darum, die über 230 israelischen Geiseln im Gaserstreifen zu befreien.

Netanyahu hat sein Volk auch eingeschworen auf einen langen und schweren Krieg.

Das hat er explizit so gesagt.

Das ist ein Krieg, das erlebt man ja dann auch in den nächsten Tagen.

Genau, also einerseits wird seit Wochen der Gaserstreifen aus der Luft bombardiert.

Jetzt alleine zwischen Freitagabend und Montag wurden wohl über 1000 Ziele aus der Luft bekämpft.

Der israelische Armee sagt, das seien allesamt militärische Hamas-Ziele

und dann haben wir eben den Vorstoß am Boden.

Die israeli rücken an mehreren Orten im Gaserstreifen vor.

An einer Stelle, also eigentlich so in der Mitte vom Gaserstreifen,

sind sie vorbegrückt bis an diese eine Straße, die Salah-Adin-Straße.

Das ist eigentlich die wichtigste Nord-Süd-Verbindung im Gaserstreifen.

In diesem Fall gibt es ein Video, das in den sozialen Netzwerken geteilt wurde,

wo man israelische Panzer exakt auf dieser Straße sieht an einer bestimmten Kreuzung.

Das kann man so lokalisieren und kann darum mit Sicherheit sagen,

die israeli sind mindestens bis dahin vorgestoßen.

Und was ist das Ziel dieser Panzerbewegungen?

So wie es jetzt aussieht, rücken die israeli einerseits von Norden Richtung Süden

an zwei Stellen im Nordwesten und im Nordosten vor.

Plus eben kommen sie von der Seite in die Mitte des Gaserstreifens.

Es sieht danach aus, als würden sie so die größte Stadt im Gaserstreifen in die Zange nehmen.

Gibt es auch Widerstand? Was weiß man da rüber?

Es ist, wie gesagt, schwierig, sich ein Bild zu machen über die Kämpfe im Gaserstreifen.

Die Hamas selbst äußert sich kaum.

Die meisten Informationen über die Kämpfe kommen tatsächlich von israelischer Seite

und sie sagen, sie hätten da zum Teil schwere Gefechte gehabt mit Terroristen der Hamas,

die offenbar auch aus Tunnels hervorgebrochen sind

und mit Panzerabwehrwaffen, mit Maschinengewehr auf die israelige Schossen hätten.

Israel sagt, man habe die erfolgreich bekämpft.

Aber nach jetzigen Informationen sind die israelischen Soldaten noch nicht in diesen engen Straßen

von Gaserstadt, wo dieser brutale Häuserkampf auf sie warten würde.

Jetzt sind sie in Außenbereichen, in zum Teil offeneren Gebieten,

wo dieser urbane Kampf noch nichts in dieser Form stattfindet, wie man ihn erwartet.

Und dann am Montag kommt plötzlich die Meldung, dass eine israelische Geisel befreit worden sei.

Es handelt sich dabei um eine Soldatin, die am 7. Oktober verschleppt worden war.

Sie heißt Ori Megidisch und wurde offenbar bei einer Kommandoaktion aus dem Gaserstreifen befreit

und inzwischen sogar mit ihrer Familie vereint.

Wo großer Jubel ausbringt.

Man sieht dieser Familie an, welches Leiden sie durchgemacht haben müssen in den vergangenen Wochen

und welche überbordende Freude jetzt in ihren Gesichtern zu sehen ist, in ihren Emotionen.

Aber viele Familien dieser Geiseln, die nach wie vor festgehalten werden, haben Angst,

dass durch diese Bodenoffensive die Bemühungen zur Befreiung dieser Geisen zunichte gemacht werden.

Dass sich die Armee eigentlich mehr dann auf den Kampf gegen die Hamas konzentriert und nicht auf die Befreiung der Geisen.

Genau, also es ist natürlich eine schwierige Situation, weil einerseits will man die Hamas zerstören,

aber man will diese Geisenleben rausbringen.

Und die Hamas hat eine lange Geschichte, wie sie sich nicht nur die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilder nimmt,

sondern sie dürfte eben wohl auch ganz bewusst diese Geiseln einsetzen, um eben nicht angegriffen zu werden.

Und jetzt sieht es so aus, als würden die Israelis versuchen, um dieses Ziel zu erreichen,

den Norden vom Süden abzukoppeln, Grasern in die Zange zu nehmen.

Und was bekannt ist, ist, dass die Israelis seit Tagen schon die Zivilbevölkerung im Norden des Gaserstreifens dazu aufrufen,

sich in den Süden zu begeben.

Es sind wohl bereits 100.000 in den Süden gegangen, der übrigens auch nach wie vor bombardiert wird.

Viele haben sich aber diese Aufforderung widersetzt.

Das sind unter anderem Spitäler, die im Norden nach wie vor funktionieren.

Das sind aber auch viele Zivilisten, die sich schlicht weigern, in den Süden zu gehen.

Ein Spital kann man ja auch nicht von einem Tag auf den anderen evakuieren.

Genau.

Was ist denn eigentlich der Unterschied zwischen dem Norden und dem Süden?

Also warum nehmen die Israelis genau den Norden ins Visier?

Israel sagt halt, dass diese Größte Stadt des Gaserstreifens im Norden,

dass dort die wichtigsten Operationsbasen der Hamas liegen.

Deshalb wollen sie wohl insbesondere dort gegen die Infrastruktur der Hamas vorgehen.

Wollen dort die Milizen bekämpfen? Wollen die Tunnels, die unter der Stadt verlaufen, zerstören?

Das dürfte jetzt das primäre Ziel in dieser Phase des Krieges sein.

Jetzt haben wir hier ja in Zürich auch mitgekriegt.

Es gab ja Demonstrationen auf der Straße für die Menschen, die im Gas ja eingeschlossen sind.

Überall auf der ganzen Welt gab es diese Demonstration.

Wie kommst du jetzt an die Informationen ran und was weißt du darüber, wie es den Menschen geht in Gaza?

Es gibt nach wie vor internationale Medien, die Reporter vor Ort haben.

Dann gibt es die Hilfsorganisationen, die im Gaserstreifen tätig sind

und natürlich die Zivilbevölkerung, die Informationen nach außen trägt.

Und dieses Bild, das sich daraus ergibt, ist wirklich eines des totalen Chaos.

Die humanitäre Situation im Gaserstreifen ist katastrophal.

Einerseits die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln, andererseits auch die medizinische Versorgung.

In den Spitälern im Gaserstreifen wird mit dem Allernötigsten noch irgendwie gearbeitet.

Zum Teil wird operiert im Licht der Taschenlampen, ohne Betäubungsmittel, also wirklich prekäre Verhältnisse.

Und angesichts dieser schlimmen humanitären Lage steigt mittlerweile auch der internationale Druck auf Israel.

Das sind einerseits die Hilfsorganisationen, die für eine humanitäre Feuerpause plädieren,

aber auch die UNO Vollversammlung hat am Freitagabend eine Resolution beschlossen,

die eine sofortige humanitäre Pause verlangt.

Was darin nicht erwähnt war, war eine Verurteilung der Hamas.

Darum haben sich auch viele europäische Staaten gegen diese Resolution gestellt.

Israel scheint zumindest teilweise diesem Druck nachgegeben zu haben.

Sie haben gesagt, sie würden jetzt mehr humanitäre Lieferungen in den Gaserstreifen zulassen.

Sie haben unter anderem eine weitere Wasserleitung wieder eröffnet.

Aber das ist noch lange nicht genug, um ein Funktionieren dieser Hilfe

und eine Verbesserung der Situation im Gaserstreifen zu erreichen.

Es sind vor allem Lebensmittel, Wasser, vielleicht einige medizinische Güter, Kleidung.

Was nicht kommt, ist Benzin.

Und Benzin wäre extrem wichtig, um zum Beispiel ein Funktionieren der Spitäler zu ermöglichen.

Diese brauchen dieses Benzin, um ihre Generatoren laufen zu lassen,

damit sie Licht haben im Operationsal, damit die Geräte laufen.

Aber Israel sagt kategorisch, dass sie keinen Benzin liefern würden,

weil auch die Hamas dieses Benzin für ihre Kriegszwecke einsetzen könnte.

Also es ist quasi ein duales Gut.

Sie brauchen Benzin, um gegen Israel kämpfen zu können,

um zum Beispiel auch ihre Tunnels belüften zu können,

die unterweiten Teilen des Gaserstreifens verlaufen.

Was ist denn jetzt zu erwarten?

Also du hast ja ganz am Anfang gesagt, bin ja mediterne,

aber wo nennt das die Phase 2?

Heißt das jetzt?

Es kommt eine Phase 3, also eben diese größere Eskalation.

Oder gibt es noch irgendeine Hoffnung, dass es zu einer Deeskalation kommt?

Ich finde das extrem schwierig zu sagen.

Also einerseits haben wir die Tatsache,

dass die Israelis eben nicht mit dieser überwältigen militärischen Gewalt

in den Gaserstreifen eingefallen sind,

die sich nach ersten Erkenntnissen auf begrenzte Bodenoperationen eingelassen haben.

Es läuft wohl sehr vieles auch im Hintergrund,

zum Beispiel Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas

unter Vermittlung Katars, wo es darum geht,

möglicherweise weitere Geißeln frei zu bekommen.

Wie es darum steht, ist auch nicht bekannt.

Dann kommt natürlich der internationale Druck

für eine humanitäre Feuerpause.

Und hier hat jetzt zum Beispiel Benjamin Netanyahu sich geäußert,

es kommt absolut nicht in Frage, jetzt einen Waffenstillstand auszurufen,

weil das eine Kapitulation vor der Hamas bedeuten würde.

Er will sich einfach zerstören, oder?

Er will sich zerstören und er kann es sich wohl auch nicht leisten,

dieses Ziel nicht zu erreichen.

Wobei die Frage offen ist, wann sagt Israel,

mission accomplished, wann haben wir die Hamas besiegt?

Natürlich kann man Tunnels und Infrastruktur zerstören,

natürlich kann man diese Terroristen bekämpfen.

Aber die Hamas als Organisation, als Ideologie auszulöschen,

das geht wohl nicht, dafür ist sie zu tief in der Bevölkerung verankert.

Also es stehen uns wahrscheinlich weitere schwierige Tage bevor.

Und ich habe nur die Hoffnung, dass sich die Lage für Allianen,

die eigentlich nichts mit all diesen am Hut haben,

sein, dass die Zivilbevölkerung im Gasastreifen sein,

dass die Familien all dieser Kinder, Männer und Frauen,

die aus Israel verschleppt wurden,

dass sich die Lage für die schnell verbessert.

Liebe Jonas, vielen Dank.

Danke dir.

Das war unser Akzent.

Der Akzent in dieser Folge ist Marlen Öler.

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Ich bin David Vogel, bis bald.

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Seit dem Wochenende hat die israelische Armee die Angriffe im Gazastreifen intensiviert und ist mit Bodentruppen vorgerückt. Doch die Informationen dazu sind spärlich.

Gast: Jonas Roth, Auslandredaktor

Host: David Vogel

Produzentin: Marlen Oehler

Weitere Informationen zum Thema https://www.nzz.ch/international/israelische-bodenoffensive-im-gazastreifen-erste-panzer-ruecken-auf-gaza-vor-ld.1763223

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