NZZ Akzent: Australiens Kröten-Katastrophe

NZZ – täglich ein Stück Welt NZZ – täglich ein Stück Welt 10/30/23 - Episode Page - 17m - PDF Transcript

Dieser Podcast wird Ihnen präsentiert von Sustainableswitseln.ch

Gemeinsam machen wir die Schweiz nachhaltiger.

Entitet akzent.

Hallo, Stefanie.

Hallo, Marlene.

Du bist ja eben zurück auf den Ferien und warst auf der anderen Seite der Welt.

Ja, war ich tatsächlich und zwar in Australien.

Ich wollte da immer schon mal hin und zwar wegen der Tierwelt.

Die ist ja ganz anders in Australien als im restlichen Teilen der Welt.

Aber als ich dann im Kakadopark war,

das war der Park, der mich am meisten fasziniert hat,

da habe ich praktisch gar keine Tiere gesehen.

Und da war ich am Anfang wirklich ein bisschen enttäuscht.

Es gab keine Echsen, keine Varane, keine Schlangen.

Es gab Wollebis, das sind diese kleinen Kängurus.

Und es gab Kröten, überall Kröten.

Ich höre sie hier, immerhin schöne Stimmfarbe.

Ja, der Klang mag schön sein, aber die Tiere, die sind es nicht.

Die sind eklig und wartig.

Und sie sind auch der Grund dafür,

dass ich praktisch keine Tiere mehr im Kakadopark im Norden Australiens gesehen habe.

Die Agakröte hat in Norda Australien ein Massensterben ausgelöst

und wird deshalb gejagt.

Wissenschaftsredaktorin Stefanie Lahrz war beim nächtlichen Krötenfang mit dabei.

Ich bin Mare Lüller.

Stefanie, noch mal zum Verständnis.

Du bist in Australien und du realisierst,

eine Kröte ist Schuld daran, dass du gar keine Tiere siehst?

Oder fast keine?

Ja, ganz genau.

Und ich habe auch festgestellt, alle, die ich getroffen habe,

alle Menschen dort hassen diese Kröte.

Was ist denn das für ein Tier, diese Agakröte?

Ja, also sie heißt mit wissenschaftlichem Namen Rinella Marina.

Klingt ja noch ganz nett.

Aber sie ist richtig groß für eine Kröte.

Also so ein ausgewachsenes Weibchen kann schon 25 cm groß werden.

Das Besondere an ihnen ist, sie sind eigentlich gar keine Australier,

sondern sie stammen ursprünglich aus Südamerika.

Sie wurden in den 1930er Jahren von dort eingeführt, absichtlich,

weil man dachte, sie könnten dann Schädlinge wie Käfer oder andere Insekten

in den Plantagen vernichten.

Doch statt, dass sie das getan haben,

sind sie selber zu einem riesengroßen Schädling geworden.

Und deswegen gehört auch Krötenjagd in Nordaustralien zum Alltag.

Das ist sozusagen eine Freizeitbeschäftigung dort.

Krötenjagd ist Hobby?

Ja, genau.

Und das dachte ich, das ist aber komisch.

Und das wollte ich dann eben auch mal erleben.

Und ein Biodiversitätsforscher hat mich dann eingeladen,

da bei einem Abendsmal mitzugehen.

Das war ein wunderschöner Abend.

Sternen klart, 25 Grad ungefähr.

Und wir haben uns an einem Golfplatz in Darwin getroffen.

Dort auf dem Parkplatz habe ich also Grey Mee Sawyer den Forscher getroffen.

Der hat uns dann ausgestattet mit einer Stirnlampe,

mit Plastikhandschuhen und einem Plastiksack.

Und dann ging es los.

Das heißt, wir sind da einfach losgelaufen von diesem Parkplatz auf den Golfplatz

und nach nicht einmal fünf Minuten, also von meinem Gefühl waren es ganz wenige Schritte,

haben wir auch schon die erste gesehen.

Und zwar in der Kegel meiner Stirnlampe saß sie vor mir,

auf diesem staubtrockenen Gras in diesem Golfplatz, richtig dick und so aufgeplustert

ganz warzig, grau-braun, hockte sie da und glotzte mich an.

Ja, was machst du?

Ich habe auch erstmal nur zurückgeglotzt,

weil man ist dann wirklich so ein bisschen paralysiert zuerst, also ich zumindest.

Aber der Forscher, der kannte das natürlich

und hat mir gleich zugrufen, hey, grab the Canetone, los!

Und ich habe meinen Ekel untergeschluckt, aber es hat mich richtig so geschüttelt,

dass ich dann versucht, diese Kröte zu fangen,

obwohl sie sich gar nicht bewegt hat, habe ich die beim ersten Mal verfehlt.

Und dann beim zweiten Mal habe ich sie also schnappen können

und dann in meinen Plastik-Sack gestopft

und dann habe ich sie nicht richtig festgehalten,

ist sie mir fast noch aus der Hand gehypft

und wer nicht da echt so noch mit dem Tier und meinem Ekel am Kämpfen war,

kam so ein kleines Mädchen an gerannt,

die gehörte auch zu diesem Krötenjagd-Team an dem Abend

und die hüpfte da fröhlich über den Golfplatz

und als ich dann bei mir ankam, sah ich,

dass sie in jeder Hand hatte sie fünf Kröten,

die baumelten da so zwischen ihren Fingern rum

und dann hat sie mir erzählt, ja, sie bekommt von ihren Eltern

pro gefangene Kröte ein Dollark.

Also die macht das, um ihr Taschengeld aufzubesser.

Das war mit Erfolg und ohne Furcht.

Aber erzähl mal Stefanie, wie kommt es denn,

dass man da im Norden Australiens überhaupt auf Krötenjagd geht?

Ja, das ist eine ganz dumme Geschichte eigentlich

und zumindest der Beginn ist dumm.

Man hat die eingeführt in Australien

und hat eigentlich damals überhaupt nicht realisiert,

dass diese Kröte in Australien überhaupt keine natürlichen Feinde hat.

Dort, wo sie herkommt in Südamerika,

gibt es natürlich viele Tiere, die diese Kröte fressen,

die auch die Eier der Kröte fressen,

aber all das fehlt in Australien.

Hinzu kommt, dass diese Kröte ein Gift produziert.

Das heißt, jedes Tier, das sie fressen will, vergiftet sich.

Und in Südamerika haben sich Tiere entwickelt,

die sind immun gegen das Gift der Kröte,

aber diese Tiere gibt es in Australien nicht.

Das heißt, jedes Tier, das die Kröte frisst, stirbt.

Und alles, was kleiner ist als die Kröte,

andere Kröten, kleine Frösche, kleine Eidechsen, selbst Mäuse,

werden von der Kröte gefressen.

Und deshalb siehst du im Nationalpark eben auch keine Tiere mehr?

Genau. Also da sind jetzt in den letzten Jahren 75% der Tiere

im Kakadonationalpark verschwunden.

Es gibt noch Wollebis, das sind Vegetarier,

da fressen keine Kröten und es gibt noch Vögel und große Krokodile.

Und das Problem wird dadurch noch verschärft,

diese Kröte vermehrt sich rasant.

Ein Krötenweibchen kann 70.000 Eier pro Jahr legen

und da sie keine Feinde hat,

wird sie in Nordaustralien 15 Jahre alt.

Mittlerweile gibt es zig Millionen Ackerkröten in Nordaustralien.

Ist ja unglaublich, diese Zahlen.

Ja, das ist völlig verrückt, aber ich muss sagen, ich glaube die auch,

weil überall, wo ich war, waren auch Kröten.

Also du siehst die an der Tankstelle neben der Zapfsäule abends,

du siehst die auf dem Campingplatz, wenn du aufs WC gehst,

nachts, du siehst die in einem Park

und die Menschen sehen sie auch in ihren eigenen Gärten.

Und damit ist sie natürlich gefährlich für Kinder oder für Hunde,

die in den Parks oder in den eigenen Gärten rumtollen und rumspielen,

weil wenn ein Hund so eine Kröte frisst, kann er sterben

und auch kleine Kinder können sterben, wenn sie mit dem Gift in Kontakt kommen.

Also wenn das Gift in ihre Augen oder vor allem in ihren Mund kommt.

Wir sind gleich zurück.

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Wie geht es denn jetzt weiter auf dieser Krötenjagd?

Also diese Krötenjagd hat so 3,5 bis 4 Stunden gedauert, fast bis Mitternacht.

Zum Schluss haben wir uns dann alle wieder auf dem Parkplatz getroffen.

Jeder hatte so ein Plastik-Sack dabei, voller Kröten.

Und du, wie viel hattest du?

Ja, also ich muss gestehen. Ich war nicht so gut, ich war ja eine Anfängerin.

Also ich hatte so 25 ungefähr, aber es gab Leute, die hatten auch 60, 70 in ihrem Sack.

Also so richtig dran gewöhnt oder richtig schön fand ich es nicht.

Man muss ja auch dazusagen, in dem Sack, der war durchsichtig, da sieht man dann diese Kröten,

die zappeln da rum, die großen klettern auf die kleinen, drücken die zusammen

und dann haben die natürlich auch Stress und dann produzieren sie ja dieses Gift

und das sieht man, das heißt der ganze Rücken hat so einen weißlichen Schleim

und man weiß, das ist giftiger Schleim.

Das ist nicht einfach nur eklig, sondern das ist auch gefährlich.

Deshalb habt ihr auch diese Handschuhe bekommen, ganz zu Beginn dieser Krötenjagd.

Wie viele habt ihr denn eigentlich insgesamt gefangen in dieser Nacht?

Also in dem Abend haben wir 186 Kröten insgesamt gefangen

und der Grammy hat dann diesen Eimer mit diesen Kröten genommen und ist dann nach Hause gefahren.

Okay, was machte der Metall dem Kröten jetzt?

Ja, also er hat erzählt, er legt sie erst mal in den Kühlschrank.

Ach so lebend?

Ja, absolut, lebend und dann, wenn die dann runtergekühlt sind auf 6 Grad,

dann sind die Bewegungsunfällig, aber sie seien dann auch schmerzunempfindlich

und dann könne er sie also auch tierschutzgerecht umbringen und zerteilen.

Okay.

Und er macht aber mit diesen Kröten noch ein weiteres Projekt.

Er präpariert die Krötenbeine mit einem eklik schmeckenden Stoff mit Lithiumchlorid

und dann verfüttert er diese präparierten Beine an junge Varane.

Verstehe ich jetzt nicht ganz, ich dachte, die sind giftig auch für Varane?

Ja, aber das Gift baut sich sehr schnell ab.

Wenn die Tiere tot sind, ist es nach kurzer Zeit zerfällt das Gift,

ist also nicht mehr im Gewebe und dann diese Substanz, die eklisch schmeckt,

die gibt er den Varan und damit will er dann die Varane erziehen.

Die sollen also kapieren, alles, was wie Krötenbeine aussehen, schmeckt eklig

und das werde ich jetzt in Zukunft nicht mehr essen

und seine Hoffnung ist, dass dann diese Varane in der freien Wildbahn überleben,

weil sie eben keine lebenden Ackerkröten mehr fressen.

Stephanie, das wirkt alles etwas handgestrickt,

hast du mir erzählt, dass diese Freiwilligen, die auf Krötenjagd gehen,

sogar Kinder, die da helfen, ein Forscher, der ein paar Varane abstinent machen will,

so löst man das Problem doch nicht, oder?

Nein, also bei zig Millionen kann man nicht dadurch eindämmen,

dass man ein paar Hundert pro Abend fängt,

wenn das ganz viele Menschen jeden Abend machen.

Das heißt, man muss natürlich was anderes tun.

Das Problem ist, dass die australischen Behörden diese Kröte und die Gefahr,

die von der Kröte für die Tiere ausgeht, lange nicht kapiert haben,

haben das völlig unterschätzt.

Es gibt also immer noch keine nationale Eindämmungsstrategie, hat mir der Forscher erzählt.

Und die Menschen behelfen sich halt, indem sie ihre Gärten weitgehend sauber halt mit fangen.

Man hat auch mal versucht, Barrieren aufzubauen,

aber ich meine, Australien ist ein großes Land mit sehr viel Landschaft und wenig Straßen.

Das ist komplett utopisch.

Und deswegen haben sich jetzt auch einige australische Forscher damit befasst

und versuchen mit modernen Hightech-Methoden aus dem Labor der Kröte zu Leibe zurück.

Wie?

Zum einen versuchen sie mit Hilfe moderner Gentechnologie,

dass die Kröte kein Gift mehr produziert.

Zum anderen versuchen sie ebenfalls mit Hilfe moderner Gentechnologie,

dass die Kröten nur noch unfruchtbare Nachkommen produzieren.

Man versucht aber auch besonders gefährdete Tiere, wie zum Beispiel Beutelmater,

dass man denen diese Immunität gegen das Gift oder die Unempfindlichkeit gegen das Gift verschafft.

Okay, aber das klingt alles irgendwie nach langfristigen Lösungen, oder?

Das dauert ja ein paar Jahre, bis man das wahrscheinlich umsetzen

und v.a. einen Effekt sehen würde auf die Population dieser Kröten.

Absolut, völlig richtig.

Kann man den wenigstens irgendwelche Lehren daraus ziehen?

Ja, das kann man schon.

Und ich hoffe auch, dass es die Menschen in Australien und aber auch anderswo,

wie gesagt, tun oder getan haben.

Denn es ist eine ökologische Katastrophe für Australien,

für diesen Kontinent mit so einem so speziellen Ökosystem.

Aber auch wir hier haben natürlich ein wunderschönes einzigartiges Ökosystem.

Das heißt, wir müssen einfach zwei Dinge kapieren,

dass wir fremde Arten nicht einfach von einem Kontinent auf den anderen versetzen dürfen.

Und wir müssen schauen, dass wir invasive Arten,

also neu eingeschleppte Arten, schnell entdecken und beobachten

und sehr schnell mit Eindämmungsmaßnahmen beginnen.

Wenn man z.B. den 50er oder 60er-Jahren in Australien festgestellt hätte,

oh, die Kröte breitet sich ja so rasant aus

und sie damals gleich bekämpft hätte eingesammelt,

dann wäre die nie soweit gekommen, wie sie jetzt ist.

Wie ging es dir denn nach dieser Krötenjagd in der Nacht in Darwin?

Ja, ich muss schon sagen, wir waren auch im Schluss immer noch so ein bisschen übel.

Ich wollte eigentlich nur noch zurück auf den Campingplatz duschen,

Hose waschen, weil die gefangenen Kröten, die haben mich auch manchmal angepinkelt.

Also ich hatte wirklich gar keinen Appetit mehr,

also auch nicht irgendwie so ein Mitternachtsnack oder so.

Wenigstens ein Schnaps wäre doch da was.

Ja, aber ehrlich gesagt, ich hatte doch nicht mehr auf den Lust.

Also es war wirklich eine ganz schöne romantische Nacht

und immer noch wunderschön warm.

Also eigentlich wäre man da gerne an die Strandpummelade gegangen,

in den Cocktail getrunken.

Aber, nee, diese Krötenjagd, die hat mir wirklich die Stimmung verhagelt.

Also auf diese Jagd habe ich nicht angestoßen.

Liebe Stefan, ich muss sagen, die Kröten haben auch mir die Stimmung

gerade ein bisschen verhagelt.

Das ist auch wirklich auch dramatisch, was das für Australien bedeutet.

Ich danke dir und ganz liebe Grüße nach München.

Danke, gern geschehen.

Das war unser Akzent, Produzent dieser Folge David Vogel.

Ich bin Marlin Euler. Bis bald.

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Die eingeschleppte Aga-Kröte hat in Nordaustralien ein Massensterben ausgelöst und wird deshalb gejagt. Wissenschaftsredaktorin Stephanie Lahrtz war beim nächtlichen Krötenfang dabei.

Host: Marlen Oehler

Produzent: David Vogel

Postproduction: Nadine Landert

Weitere Informationen zum Thema https://www.nzz.ch/panorama/toadzilla-wiegt-mehr-als-manch-neugeborenes-27-kilogramm-schwere-aga-kroete-in-australien-entdeckt-ld.1722327

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