LANZ & PRECHT: AUSGABE VIERUNDNEUNZIG

ZDF, Markus Lanz & Richard David Precht ZDF, Markus Lanz & Richard David Precht 6/23/23 - Episode Page - 36m - PDF Transcript

Blanz und Brecht.

Schönen guten Morgen, Richard.

Guten Morgen, Markus.

Wo erreiche ich dich?

Am altbefeierten Ort.

Ich bin ein bisschen aufgeregt.

Ich war viel unterwegs.

Ich war immer mit Kriege, Vorträgen, St.Gallen.

Dann verteidigst du wieder Klimakleber.

Hast du das mitgekriegt?

Nein, habe ich gar nicht mitgekriegt.

Hat sich da jemand aufgeregt?

Nein, ich merke mir dieses Thema.

Das war ein Veteran.

Wir haben viele Kinder, die nicht mehr mehr haben,

gegen Fridays for Future konnte man nichts sagen.

Die Kinder machen sich Sorgen.

Sie haben mit der Grundausrichtung recht.

Man könnte sagen, wir dürften die Schule nicht schwänzen,

wie Christian Lindner.

Jetzt hat man durch die Klebeaktionen,

wo man einen Ding hergestellt hat,

ausführlich darüber gesprochen. Da hat man jetzt aus konservativer Perspektive ein neues

Feindbild. Also der linke Klimaaktivist, der wird jetzt mit der RAF gleichgesetzt. Und diese

Übertreibung, die geht mir einfach zu weit. Also ich habe ein anderes Problem damit. Ich habe das

Gefühl, das ganze Land ist unvorstellbar gestresst. Und irgendwie sind das immer noch so Phantomschmerzen,

die kommen aus dieser Corona-Zeit und so weiter. Man merkt erstmal so allmählich, was es dafür

Verheerungen gegeben hat. Das Leben ist irgendwie so anstrengend geworden. Und dann kommt noch

diese ganze Debatte um Wärmewende. Und dann versuchst du irgendwie, dein Leben in Griff zu

kriegen. Und versuchst morgens von A nach B zu fahren und die Kinder einigermaßen pünktlich in

der Schule abzuliefern. Und dann gehst du zur Arbeit und machst dein Ding. Und dann ist aber auch

noch Inflation die ganze Zeit und es geht auch nicht weg. Und die Bahnen fahren nicht. Genau. Und das

denke ich, das ist nämlich der andere Punkt. Wenn man den Leuten vorwerfen könnte, pass auf,

ihr seid einfach bequeme Säcke. Ihr wollt einfach Auto fahren. Dabei gäbe es doch so was Großartiges,

wie den ÖPNV und die Bahnen und so weiter. Das ist ja alles nicht so. Wir wollen alles zur

gleichen Zeit und merken gar nicht, dass wir das Land, dass wir die Menschen unfassbar überfordern.

Und dann gehen auch noch Leute hin und kleben sich morgens während du dein Kind gerade in

die Schule. Das gibt dir dann quasi den letzten Rest und dann spiel dir der Kamm und platzt

dir der Kamm. Ja, und mein Thema ist, was bringt das der Sache? Nichts. Ehrlich gesagt, ich weiß

gar nicht, wie ich anfangen soll und ich war mir auch nicht sicher oder bin mir nicht sicher,

ob wir darüber mal reden sollten oder vielleicht sollten wir es mal einfach mal machen. Das

Erregungspotenzial, weil wir auch gerade über angestaute Aggressionen haben. Ja, Gereizzeit.

Genau, diese unvorstellbare Gereiztheit und die hat nicht nur was mit den

sommerlichen Schwülentemperaturen zu tun. Ja, aber da erhöht sie sich noch mal. Ja,

da geht das nochmal darum. Wir sind in so einer Dauererregtheit drin. Ja. Nehmst du das auch so

wahr? Ich nehme das absolut wahr. Und wenn man Ursachenforschung macht und sich fragt, warum

ist unsere Gesellschaft so irrsinnig gereizt, dann fällt einem so vieles auf einmal ein und es

fällt einem auch überhaupt nicht ein, warum diese Gereiztheit jemals wieder weggehen sollte.

Ja, das ist richtig. Ich habe also nicht das Gefühl, das ist eine Phase, sondern ich habe

das Gefühl, irgendwie unsere immer komplizierter werdende Umwelt, auch die Beschleunigung all der

Dinge in unserem Leben tragen dazu bei, dass diese Gereiztheit unglaublich zunimmt. Ich frage mich,

welche Rolle wir dabei spielen. Diese Dauerschleife, diese Dauererregtheit,

nicht mehr jeden Tag ein neuen Skandal, alle halbe Stunden ein neuen Skandal. Ich denke da gerade

zum Beispiel an die Vorgänge auch rund um Rammstein. Das Erregungspotenzial darum, ich meine,

jetzt mal ganz unabhängig davon, was da wirklich war und möglicherweise sind da schlimme Dinge

passiert und möglicherweise sind junge Frauen zu Opfern geworden und es wurden ihnen ohne ihr

Wissen-Kaotropfen eingeflößt und es ist zu Vergewaltigung oder was auch immer gekommen.

Ich will nur sagen, das ist doch die Aufgabe von Staatsanwälten, von Gerichten, das zu klären

und dann gegebenenfalls den Täter, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Aber was ich mittlerweile,

wie soll man sagen, mit so einem, wirklich nur noch mit dem Gefühl verfolge, ist die Art und

Weise, wie schnell wir dann medial dabei sind, erstens alles zu wissen, in einer atemberaubenden

Geschwindigkeit und dann auch das Urteil klar zu haben. Und wenn das mediale Urteil erst gesprochen

ist, dann ist es im Nachgang, ehrlich gesagt, fast egal, was das eigentliche, das juristische

Urteil war. Wenn das mediale Urteil gesprochen ist, bist du erledigt. Das wäscht du nicht mehr von

dir ab. Ja, also das wäre ja ein berühmtes Beispiel, das ist ja Jörg Kachelmann über einen langen,

langen Zeitraum medial vorverurteilt worden, wo sich weiß, ich wäre da alles zu Wort gemeldet hat

und eine Schauergeschichte jagte die nächsten und Alice Schwarzer wusste schon ganz, ganz genau,

wer ist das, der Prototyp eines Vergewaltigers ist und und und und und am Nachhinein wird er freigesprochen.

Und trotzdem ist dieses Image, war das nicht der und so weiter und die Hälfte aller Leute kennt

ihn vom Wetter und die andere Hälfte kennt ihn wegen dieser Schlagzeilen. Das heißt also,

du kannst ja noch so oft duschen, du wirst das nicht mehr los. Und wenn man sich überlegt,

was da angerichtet wird durch mediale Vorverurteilung, müsste man ja eigentlich die Konsequenz haben und

sagen, vorsichtig darüber berichten. Ja, vielleicht auch nicht gerade eine Titelgeschichte draus zu

machen, wenn die Staatsanwaltschaft gerade erst mit den Ermittlungen beginnt und wir

im die ganzen Zusammenhänge und das Ausmaß gar nicht kennen. Aber in letzter Zeit häufig,

dass Herr Spiegel hatte vor einigen Wochen ein Hef, da hat Herr Vierseiten über Till Schweiger

gehabt, den er also als als kompletten Unmenschen dargestellt hat und über den Koch Christian

Jürgens, bei dem genau das Gleiche war. So acht Seiten in einer Zeitung wie der Spiegel,

Zeitschrift wie der Spiegel, die für sich Qualität in Anspruch nimmt oder Seriosität.

In beiden Fällen lagen zu dem Zeitpunkt keinerlei Strafanzeigen vor, dass er wurde gar nicht

gerichtlich ermittelt. Es stand also kein echter Straftat bestand im Raum. Und dann eine

komplette Vorverurteilung zu machen und aufgrund von Zeugenaussagen, die völlig richtig sein

können, aber nicht müssen. Da stellt man sich die Frage, warum macht man das? Also da ist

doch irgendeine Hemschwelle, die früher mal in den Medien da war, jedenfalls in der sogenannten

Qualitätspresse. Wie ist da gefallen? Ja, ich hänge gerade nochmal Jörg Kachelmann nach. Ja,

gedanklich. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer, muss man schon sagen, einer Pathologie-Legende,

ja, legendäre Hamburger Gerichtsmediziner Dr. Püschel, Professor Püschel ist ein Instanz hier in

Hamburg gewesen, ist mittlerweile im Ruhestand. War dann auch mal bei mir in der Sendung ein

interessanter Mann, der ganz früh schon in der ersten Corona-Phase angefangen hat,

Menschen zusetzieren, die an Corona gestorben sind und der dann sehr früh auch sagt der Vorsicht,

Vorsicht, diese Menschen sind nicht unbedingt an Corona, die sind zum Teil auch mit Corona

gestorben und so weiter. Das war einer von denjenigen, die sehr früh auch den Zweifel hatten, ob das

die Todbringende Krankheit wirklich ist, von der wir lange Zeit dachten, dass es ist und der dann

auch darauf hinwies und sagte, passt auf, das ist eine gefährliche Krankheit, aber es gibt

bestimmte Merkmale, die ich dann immer wieder sehe, zum Beispiel sehr übergewichtige Menschen, die

dann ein besonderes Problem kriegen und so weiter. Das hat er alles bei sich auf dem Sitziertisch da

gesehen. Und ich habe nach der Sendung, ich darf das mal ausblauern, ein Gespräch mit ihm geführt,

genau über den Fall, über Jörg Kachelmann und er sagte, ich habe mir diese Bilder angesehen, die

Beweismittel sozusagen für diese vermeintliche Vergewaltigung, diese angebliche Vergewaltigung,

der sagte, anhand dieser Bilder hätten wir hier in Hamburg niemals ein Verfahren eröffnet, niemals,

weil diese Bilder gaben das nicht her. Es war völlig klar, dass das Verfahren ist am Ende

eröffnet worden wegen des medialen Drucks. Ich sage mal so, auch da kann man nur spekulieren,

aber man hat schon das Gefühl, da gibt es eben genau das, was ich meine, dieses ungute Zusammenspiel

sozusagen aus Justiz und am Ende auch Medien. Ich muss jetzt aufpassen, wie ich formuliere,

aber auf eine Art Ein sich durchaus auch selbst erhaltenes System, wenn es schlecht läuft, ein gutes

System, wenn es sozusagen wechselseitig dafür sorgt, dass der ein oder andere den Job macht,

aber das kann eine fatale Sogwirkung nach unten entfalten, wenn man das Gefühl hat, okay, da

habe ich jetzt einen ganz berühmter Mann, das könnte der Fall meines Lebens werden und den

bringen wir jetzt zur Strecke. Ich kann nur Puschel zitieren, der sagte, wir hätten das Ding

niemals zur Anklage gebracht, weil es war völlig klar, das ist ganz, ganz dünnes Eis und dann haben

sie sich da immer tiefer rein voran, die Staatsanwaltschaft Mannheim war das, glaube ich,

und haben immer weiter gemacht und weiter gemacht und am Ende war das ja auch jetzt nicht irgendein

Freispruch, sondern es war ein 1a-Freispruch, wie man das dann so so leihenhaft nennt, ja, das war

nicht jetzt aus Mangel an Beweisen, sondern es war erster Klasse, genau, es war völlig klar,

das, was da behauptet wurde, das ist nie passiert, das hat so nie stattgefunden schlicht und

untergreifend. Ja, Ute, denkt doch mal daran, die Hetzjagd auf Christian Wulf. Ja, also das hat ja

über lange Zeit, gab es ja kein anderes Thema in der Gesellschaft und ich war von Anfang an

dagegen, dass Christian Wulf Bundespräsident wird und die Begründung dafür war, er war Ministerpräsident

gewesen, aber sein Leben lang so eine rein politische Biografie gehabt, war in dieser Zeit durch

nichts ganz besonders aufgefallen und dachte sich so mit 50 auch jetzt mal nach Berlin und

Bundespräsident werden ist doch super und Merkel dachte sich, wenn der Bundespräsident wird,

wird er mir nicht mehr gefährlich. So, das fand ich jetzt nicht angemessen, ja, ich bin sowieso der

Meinung, Bundespräsidenten, das sollten nicht ausgediente Politiker machen, sondern das sollten

Leute werden, die sich in der Zivilgesellschaft verdienen, gemacht haben. Das ist meine Ansicht,

die habe ich auch damals präsentiert und habe in diesem Kontext damals, wohl im Spiegel wie in

der Zeit, lange Essays geschrieben, die sich gegen diesen Kandidaten ausgesprochen haben. Das heißt,

also ich hatte keine Sympathien für ihn. Als es dann losging mit seinem Häuserkredit und

in eine Hexenjagd entbrannt ist, bis hin am Ende zum Bobby Carr und zu irgendeiner Hotelrechnung,

wo irgendjemand mal 200 oder 300 Euro für ihn bezahlt hat und ein Filmproduzent, ich meine,

das war ein Hexenjagd unglaublichen Ausmaß, die da stattfand. Dazu wurde ja noch seine Lebensgefährtin,

den uns hier, das, was er dann dazu geführt hat, das Günther Jauch, dann in der Talkshow gefragt

hat, ob es stimmt, dass die Bildzeitung seine Frau wegen deren Vergangenheit erpresst. Damit

wurde die ganze Sache überhaupt erst in die Öffentlichkeit gebracht, ja, da wurden also

diese miesen Gerüchte, die da gestreut wurden, auch noch so geheiligt im Grunde genommen. Also,

muss ich sagen, was sind das für unfassbare Vorgänge, die damals waren? Und ich habe mich an

alle dem überhaupt nicht beteiligt, weil ich dachte, hier wird einem Menschen, der mir, wie gesagt,

nicht besonders sympathisch weicherte, mir an einem anderen Bundespräsidenten gewählt, der wird

hier medial wegen Kinkalizien abgeschlachtet und das war so die Rotte hatte, ne, so richtig die

Mäute habe ich auch geschrieben und Mäute ist hier der richtige Ausdruck, ja, das sind so

viele Hunde, die da so die Blutschuhe aufgenommen haben und sagen, wir finden dann noch das entscheidende

Detail, über das er schließlich gefällt. Und dieses Detail ist nie gefunden worden, sondern er ist

zurückgetreten, weil er die gesamte Presse gegen sich hat. Er ist zurückgetreten, weil er sein

Image in der Öffentlichkeit ruiniert war, ohne dass man allzu viel Brauchbares gefunden hat,

was dafür im Grunde sein könnte. Weißt du, was ich an Christian Wolfs so bemerkenswert fand,

aber das nur ganz kurz in Klammern, weil es jetzt gar nicht das Thema ist, aber was ich interessant

fand, war, wie er im entscheidenden Moment den Rücken gerade gemacht hat. Der hatte ja die

Chance gegen sozusagen einen Teilgeständnis, was auch immer, und dann einen Bußgeld und so weiter

auf eine Verfahrenseinstellung. Und das hat er nicht gemacht. Natürlich nicht. Sondern er hat sich

gerade gemacht und hat gesagt, pass auf, nein, das ziehen wir jetzt mal bis zum Ende durch. Das ist

der eine Teil, den ich interessant finde an diesem Fall, ich finde aber auch den zweiten Teil

interessant. Deswegen bin ich da immer so ein bisschen hin und her gerissen. Weißt du, ich komme

aus einem Land, in dem gerade Silvia Berlusconi gestorben ist und der im Grunde sozusagen den

staatlich legitimierten Beschiss und Betrug eigentlich so richtig gesellschaftsfähig gemacht

hat. Es war immer so, es war nicht so das Ding, guck mal, wie peinlich ist das denn wieder und was

für eine Sauerei ist das wieder, sondern es war irgendwann das Gefühl, das ist ja ein wahnsinnig

smarter Typ, warum kommt er mit alledem davon? So gerissen wäre ich auch gerne. Das war irgendwann

das Gefühl. Und dieses Gefühl? Ja, da wurde Politik zur Unterhaltung. Man hat ja nicht mehr, nein,

aber aus der Rezeptionsperspektive, dass er eine Menge misst angerichtet hat, ist das eine,

aber er wurde von vielen Leuten so unter dem Gesicht von, es hat ja heute wieder Lustiges

gemacht. Ja, ja. Bunga Bunga und so weiter. Bunga Bunga, aber ein Hund ist ja schon, also muss man

dem lassen, ist ja Respekt. Ja, ja, genau. Was für ein Kuhler sagt. Das ist ausgeschlafener. Genau,

dass er das alles macht und so weiter und auch die Steuerhinterziehung und der Herr

Pforra, die Kamorra, der Minister und so und alle wie Geschwister und alles geht so irgendwie

durch und am Ende sagt man aber ganz bewundert, also wer das wieder gemacht hat, das wüsste ich auch

gerne mal und so gerissen wäre ich auch gerne mal. Und diese Stimmung, diese Atmosphäre ist in

Deutschland so nie entstanden und Christian Wulf war eben, ich glaube, dieses ganze Verfahren hat

ungefähr 20 Millionen gekostet, also Steuerzahler 20 Millionen muss man sich mal vorstellen und das

wurde gemacht und am Ende kommt an Bobby Carter dabei raus und ich habe oft gedacht, was für

einen Wahnsinn und gleichzeitig aber auch wie gut, weil es für jeden, der in politischen

Spitzenämtern ist, wirklich der sachdienliche Hinweis ist, versuchst erst gar nicht, wir haben

euch auf dem Schirm und wir werden euch notfalls auch zur Rechenschaft ziehen und deswegen haben

wir, glaube ich, in Deutschland eine weitestgehend nicht korrupte politische Klasse, was ein riesiges,

ein riesiger Vorteil dieses Landes ist. Also Markus, wenn du sagst, dass positive daran ist, dass man

heute als Politiker eigentlich keine Chance mehr hat korrupt zu sein, falls das schwimmen sollte,

aber um welchen Preis erkauft, um den Preis erkauft, dass auf der anderen Seite Kleinigkeiten,

Kinkalätzchen zu einer generellen Misstrauenserklärung führen, bis hin dazu, das Image eines

Menschen vollständig runter zu putzen, das ist im Fall von Christian Wulf passiert. Ja, mein Punkt war

aber gerade der juristische Teil, ich finde es gut, dass wir eine Justiz haben, die hinguckt,

das finde ich gut, weil das Gegenteil davon ist bunga-bunga und ich finde es gut, dass das noch

mal die juristische Seite, was medial dann daraus wird und wie sich das verselbstständigt und welche

horrenden Schlagzeilen das dann nach sich zieht und dich dann so zerstört, was dein Bild in der

Öffentlichkeit angeht, dass du dich eigentlich am besten nie wieder irgendwo blicken lässt, ja,

das steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber die juristische Aufwand, genau hinzugucken,

ich sag mal, Italien hätte es gut getan, wenn die in all den Jahren sehr genau hingeguckt hätten,

mittlerweile tun sie es und das tut dem Land erkennbar gut. Ja, also ich bin bei

das juristische Anbelangt absolut auf deiner Seite. Was das mediale Anbelangt habe ich folgende

These, ich frage mal folgende Hypothese, man wird sich die Frage stellt, warum sind diese

Hinrichtungen, diese Vorverurteilung, also im Fall Tildenmann, im Fall von Tildschweiger,

damals im Fall von Kachelmann, im Fall von Christian Wulf, also man hat eine ganze Reihe von solchen

Fällen aufzählen, warum sind die so extrem, warum beteiligen sich so viele daran und warum ist

das so ein Medienfest, jemand öffentlich zu schlachten? Der Pranger meint so. Ja, der Pranger,

da kann man natürlich sagen, ja, ist ja ganz klar, Medien brauchen Auflage, Konkurrenz zu

sozialen Netzwerken und so weiter, das spielt sich ja eine Rolle. Aber wenn man so ein bisschen

tiefer bohrt und sich fragt, warum macht man das, wir leben ja doch eigentlich in einer Gesellschaft,

in der wir gezwungenermaßen, immer anständiger werden, gezwungenermaßen dadurch, weil politische

Inkorrektheit heute sehr viel schärfer sanktioniert wird als in früheren Zeiten, da ist das zum

Teil gar nicht sanktioniert worden und heute muss man sich richtig ausdrücken, macht ganz schnell

irgendeine Formulierung, die gegen einverwendet werden kann, als sexistisch oder rassistisch und

so weiter. Das heißt, also muss jedes Wort auf die Goldwaage legen, das hat durchaus Vorteile,

es hat aber auch Nachteile und der Nachteil ist, dass sich in der Gesellschaft, wenn man viele

Dinge nicht mehr klar aussprechen kann, das, was man sozusagen, wie man sie normalerweise

aussprechen würde, dann staut sich immer mehr an. Und dieses Angestaute, das darf man dann

rauslassen, wenn die Medien jemand zum öffentlichen Abschusspreis gegeben haben. Und dann, ja,

dann wird sozusagen kompensatorisch, da hat einer die Regeln nicht eingehalten, was ich jetzt unter

Zwang und Druck und Mühe und Nörgeln machen muss, ja, und der hat es nicht und dann ist das so

entlastend, weil dann brauche ich mich überhaupt nicht mehr zusammenreißen, auf den kann ich

schimpfen und einschlagen und den fertig machen und so, bis ich dann wieder so auftanken kann und

dann wieder, muss ich dann wieder aufpassen, dass ich nichts sage und so. Also ich glaube,

es hat eine Entlastungsfunktion und das erinnert mich sehr stark ans Mittelalter, ja, diese

öffentlichen Hinrichtungen auf Jahrmärkten oder jemand an einen Pranger stellen, da wird jemand an

einen Fall gebunden und alle dürfen vorbeigehen, ja, und dürfen den anspucken. Und das ist so ein

bisschen das, was hier im Augenblick passiert. Da bricht sich so so ein acharisches Bedürfnis,

bricht sich da Bahn. Also das ist ein total interessanter Punkt, an dem du gerade bist,

also du meinst, diese politische Korrektheit führt auch tatsächlich zu dieser berühmten

Verengung des Meinungskorridors. Also leben wir wirklich in einer Gesellschaft,

in der wir nicht mehr alles so sagen dürfen? Ja, also man darf natürlich alles sagen,

aber man muss natürlich schon bei relativ kleinen Konformitäts- oder Normverstößen mit sehr

heftigen Reaktionen reichen. Das meine ich und das führt dann in der Konsequenz dazu,

dass dieses Gefühl entsteht, man kann und darf nicht mehr alles sagen, weil natürlich dürfen

wir das auf dem Papier, wir haben Meinungsfreiheit und ich weiß nicht. Ja, natürlich dürfen wir

das auch unter Freunden und das dürfen wir, wenn wir beim Bier zusammenstehen,

dürfen wir das vielleicht auch, wenn wir irgendwie wissen, die sind ja jetzt da auch nicht so

hypersensible oder so. Aber wir dürfen ein bisschen zumindestens, wenn wir uns in der

Öffentlichkeit befinden, sehr, sehr, sehr genau formulieren, weil eine einzige Formulierung

kann schon ausreichen, dass ein mediales Feuerwerk entfacht wird. Ich habe mal eine Studie in

die Hände gekriegt von zwei Sozialwissenschaftlern Matthias Revers und Richard Traunmüller,

die eine Studie gemacht haben über die Beschränkung der Redefreiheit, die es im September 2020

erschienen in einer Kölner Zeitschaft für Sozialpsychologie und haben sich Hochschulen

angeguckt, genau zu dem Thema. Und der wirklich traurige Befund, knapp 1000 befragte Studenten

aus dem mehrheitlich linken Spektrum, möchten gar nicht erst mit divergierenden Ansichten,

bis dann da so schön heißt, behälligt werden. Und die Hälfte der Befragten ist sogar dagegen,

Redner mit abweichenden Meinungen zu den Themen Islam, Geschlecht und Zuwanderung an der Hochschule

zu dulden. Noch höher ist der Anteil derer, die abweichlalen keine Lehrbefugnis zugestehen

und wiederum eindritteln möchte, dass diese Bücher, also Bücher solcher Leute aus den Bibliotheken

verschwinden. Das ist irre. Das ist wirklich irre, dass man im Namen der Toleranz argumentiert,

dass man aber intolerant gegenüber anderen Meinungen diesbezüglich ist. Und das nimmt zu. Und das

nimmt auch leider bei intelligenten Menschen zu. Und ich glaube, man macht sich da natürlich ganz,

ganz viele Gedanken um seine eigene Befindlichkeit, aber man macht sich zu wenig Gedanken, was aus

einer Gesellschaft wird, wo sich das dann durchsetzt, zumal diese Gruppe, von der du gerade

gesprochen hast, nicht die Mehrheit der Bevölkerung ist. Ich finde es selbst schlimm, wenn sie es wäre.

Ja, ich finde jede Gesellschaft schlimm, die andere Meinungen grundsätzlich nicht mehr toleriert

oder die ihre roten Linien dessen, was sie für zumutbare politische Überzeugung halten,

immer enger und immer enger schneiden, bis am Ende nur noch die eigene politische

Überzeugung übrig bleibt. Das finde ich grundsätzlich schlimm, selbst wenn es die Mehrheit

der Gesellschaft wäre. Aber in diesem Fall ist es ja auch noch so, dass das ein relativ kleiner

Kreis von Menschen ist, der aber kulturell sehr wirkungsmächtig ist. Aber wofür führten das

Hinrich hat? Ich meine, auf der einen Seite diese Hyperempörung und auf der anderen Seite sozusagen

dieses druckmäuserische, dieses Nichtansprechen, was wirklich ist, die schwierigen Themen lieber

außen vorlassen. Ich merke das auch immer, wenn ich in der Sendung sitze, ja, wenn wir bestimmte

Themen plötzlich streifen, dann merke ich, wie sich Leute schon zum Teil halb in ihren Stuhl

rein ducken, weil sie bloß nicht möchten, dass diese Frage zu einem schwierigen Tatbestand,

Thema Migration, Thema Probleme bei der Integration von Menschen zum Beispiel,

Überforderung der Gesellschaft selbst darüber zu reden, fällt so vielen unendlich schwer.

Das Schwierige ist, dass sowohl als auch Meinungen, die man zu solchen Themen ja haben kann. Man

also sagen kann, natürlich gibt es Menschen im Migrationshintergrund, die straffällig werden,

man muss sich die Frage stellen, warum darf das dann nicht benannt werden und so weiter. Am Ende

muss man damit rechnen, dass irgendeine Äußerung, die man gemacht hat, ohne dass man das in

einen Kontext gestellt hat und so weiter, so dekontextualisiert irgendwo zitiert wird. Und

davon haben die Menschen ganz große Angst. Du sagst einen Satz, zudem du danach auch noch

relativierendes sagst, sondern wirst du in die rechte Ecke gestellt oder in irgendeine andere

Ecke gestellt. Unsere Medien sind ja sehr gut darin, jemand in irgendwelchen Ecken zu stellen

oder irgendwelchen Lagern zugehörig fühlen oder so oder genau zu wissen, dass jemand irgendetwas

ganz Schlimmes denkt. Er sagt es nur nicht so richtig. Also diese ganze Hermeneutik, die wir

da betreiben, diese ganze Hobbypsychologisierung, was Menschen, wie schlimm bestimmte Menschen sind,

die sich nur nicht so richtig trauen zu sagen, wie schlimm sie eigentlich sind. Das ist etwas,

das ist ganz normal. Wann ist uns das verrutscht? Wann sind wir, wir hatten das Thema ja öfter. Wann

sind wir so eine hochmoralische Gesellschaft geworden? Wann? Dadurch, dass die Stammtische

öffentlich wurden. Also dadurch, dass die sozialen Medien kamen. Die sozialen Medien haben das,

was sonst am Stammtisch rausgehauen ist und was halt im Wirtshaus geblieben ist. Ja, die

Möglichkeit gehabt, das Millionenfach in die Welt hinaus zu posaren. Und damit wurde auf einmal

die Privatmeinung irgendwelcher Leute gesellschaftlich relevant. Und das hat dazu geführt, dass man

sehr viel vorsichtiger sein muss, was man tut. Auch mal davon zu reden, was gibt es nicht alles für

Handyfotografen, die irgendwelche Szenen von irgendjemandem aufnehmen können und dann irgendwo

einspeisen, wo irgendjemand mal gepöbelt hat oder was weiß ich was oder so. Das heißt also die

Möglichkeit auch der Überwachung durch die neuen Technologien. Wenn befindet sich immer, wenn man

unterwegs ist, in einem irgendwie öffentlichen Raum, wo man ganz, ganz, ganz genau überlegen muss,

was man tut, weil man weiß, die Öffentlichkeit ist völlig intolerant gegen jeden Normenverstoß.

Und das ist natürlich eine massive Freiheitseinschränkung. Und dann fragt man sich, wir sind

formal freier, als wir es je in unserer Geschichte waren. Aber rein juristisch sind wir unglaublich frei.

Aber fühlt sich für viele Leute ganz anders an.

Nee, die sozusagen die Selbstzwänge, die nehmen immer stärker zu. Und jetzt können wir den Bogen

schließen. Wenn die Selbstzwänge immer stärker zunehmen, dann wird das irgendwie in den Untergrund

der eigenen Psyche gedrängt. Wer immer korrekt und sowas sein muss und nie irgendwo mal sich da

entspannen oder irgendwas machen kann oder einen Laster frühen oder so, das staut sich an.

Und da hast du eine Erklärung unter mehrerem für unsere Gereizzeit. Also da dreht sich das ganze

doch im Kreis. Und die Gereizzeit ist wiederum der Grund dafür, dass Normenverschröße

öffentlich so angepankert werden.

Aber dieses hochmoralische, das hast du ja mittlerweile auf allen Ebenen, ne? Das hast du in der Politik,

das hast du gesamtgesellschaftlich, dieses moralisch marklos zu sein. Ist das etwas für

zu sagen, dass vor allen Dingen auch ein deutsches Phänomen ist oder ist das ein westliches

Phänomen, ist es, was ist es?

Wenn ich das so genau wüsste. Also ich weiß auf jeden Fall, dass früher das Privatleben von

Politikern in der Presse weitgehend tabu war in Deutschland. Man wusste bei Willy Brandt, da wurde

der politische Gegner gelästert, dass da wohl ziemlich viele Frauen gab und das ja auch sehr

viel Alkohol getrunken hat. Das wurden mal so gelegentlich blitzte das mal irgendwo als Kritik

auf. Aber ich habe mich sehr gewundert noch so in den 80er Jahren, wo das Privatleben von

Politikern irgendwelche Affären und Eheprobleme und sowas von der Boulevardpresse in großen

Lettern ausgeschlachtet wurden. Und da habe ich mir damals noch gesagt, das kann in Deutschland

nicht passieren. Und ich glaube das erste Mal, dass mir aufgefallen ist, es ist jetzt hier

anekdotische Evidenz, ja? Also wahrscheinlich gibt es noch irgendwie andere Beispiele oder

frühere Beispiele, dass ein Politiker wegen seines Privatlebens in die Schlagzeilen gerät war,

glaube ich, als Seehofer ein unehrliches Kind hatte. Und ich meine, fand daran so ungefähr,

wer es damit losgegangen, dass man auch vor Politiker nicht halt gemacht hat und deren

Privatleben erforscht hat und sich mühe gegeben hat, das zu skandalisieren. Ja, also über den 90er

Jahren. Und die Frage ist natürlich, ist das eine gute oder ist das eine schlechte Entwicklung für

die Betroffenen? Ist es gruselig? Ich kann daran nichts Gutes finden. Was ich nur meine ist,

ist es nicht sozusagen, gerade wenn es um Politik geht, ist es dann möglicherweise vielleicht dann

doch auch Aufgabe von Medien zu sagen, okay, der redet am Sonntag so und in Wahrheit macht er aber

am Freitag ganz andere Dinge? Nein, finde ich nicht. Ja, so, ich finde, ich messe einen Politiker

an dem, was er als Politiker leistet. Und nicht an der Frage, ob er ein guter Vater ist,

ob er für Alkohol trinkt oder was weiß ich nicht. Nee, das meine ich nicht. Aber wenn er sich

inszeniert, öffentlich inszeniert, das meine ich jetzt nicht im Bezug auf Seehofer, ganz generell.

Wenn er sich jetzt als moraler Poste hoch spielt und so weiter und dann stellt sich am Ende raus,

es gibt keine Verfehlungen, die ihm fremd ist. Also wenn sozusagen solche krassen Beispiele hätten.

Also wenn jetzt Donald Trump hingehen würde und würde puritanische Ehe ideale vertreten oder so

was alles oder so. Also wenn sich jemand auf lächerliche Art und Weise unglaubwürdig macht.

Aber ansonsten finde ich es, dass Privatleben von Politikern das unwichtigste überhaupt. Und das

gilt eigentlich hoch für Künstler. Mein Gefühl ist dieses sozusagen an den Prangerstellen und zwar

ohne wirklich zu wissen, was eigentlich Stand der Ermittlungen ist. Gibt es polizeiliche Ermittlungen,

gibt es eine Anzeige, gibt es eine Anklageschrift, gibt es, gab es eine Verhaftung, was etwas anderes

ist als eine Festnahme. Das geht da heutzutage auch alles immer direkt so durcheinander. Der

wurde verhaftet, denke ich nicht, er wurde erst mal festgenommen. Das ist ein großer Unterschied.

Juristisch, ob du verhaftet worden bist oder festgenommen worden bist. Und ich habe das Gefühl,

das kippt so mit mit Harvey Weinstein. Weinstein ist so ein Fall, das Gefühl ist seitdem kann man

mit so etwas durchkommen. Seitdem kann man massive Anklagen einfach in die Öffentlichkeit bringen,

ohne sie genauer belegen zu können, was in dem Fall auch schwer ist. Aber wenn es dann glaubwürdig

passiert und im Fall von Weinstein... Auch noch so ein hervorragendes Beispiel für tatsächliche

Vergehen in seiner ganzen Art, sozusagen... Genau, das Klischee, sozusagen der Klischeebösewicht,

also so, so wie er es in seinen eigenen Filmen... Ja, er macht es nicht so, weil es ist zu viel

Klischee. Das kann so eigentlich gar nicht sein. Ja, genau, zu dick aufgetragen. Aber will nur sagen,

so und dann kommt das ins Rollen und plötzlich stellt sich raus, ach guck mal, da ist ja viel,

viel, viel, viel mehr. Mein Harvey Weinstein, du erinnerst dich, war Ronan Farrow, der der Sohn

von Woody Allen, der das ins Rollen gebracht hat und der einfach mal die Geschichte erzählt hat,

die offenkundig ganz viele schon ganz, ganz lange wussten und hat einfach dieses Schweigekartelt

zerstört und zerschreddert und zertrümmert und man muss doch sagen, eigentlich an dem Punkt

der Allgemeinheit und auch der Sache der Frauen vor allen Dingen einen wirklichen Dienst erwiesen,

ohne wahrscheinlich den letzten perfekten Beweis zu haben. Beweis zu haben. Also deswegen will ich

nur sagen, der Grat ist ein sehr, sehr schmaler. Ja, aber das ist ein schmaler Grat und es ist

auch schwierig. Deswegen könnte man auch nicht durch eine veränderte Rechtslage da jetzt sagen,

wir müssen den Medien weniger Spielraum geben und dass man schneller und leichter klagen kann und

so. Also das kann seine Vorteile haben, wie du an dem Beispiel gezeigt hast. Ja, aber ich meine, es ist

doch dann dem Reifegrat der jeweiligen Journalisten zuzutrauen, abzuwägen, ob es sich hier wirklich

um einen Fall Weinstein handelt oder nicht. Und wenn das zu einem Zeitpunkt ist, wo man kaum was

in der Hand hat, weil eben auch juristisch manchmal noch nicht mal Anklagen vorliegen. Ja, das ist,

ja, dann kann man keine Füße seiten oder was ausbreiten. Das ist die Verhältnisse. Vielleicht

ist das abschließend, ist das eigentlich das Thema, weil das wir reden, ist das genau der wichtige

Gedanke, um den es geht. Die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht mehr. Wir schießen immer komplett

übers Ziel hinaus. Es gibt nur noch Katastrophal, Schwarz oder Blüten, Reine, Weiße und Schuld.

Also feiern und großartig finden und dann aber vom Sockel stoßen und komplett zerstören sie hier

am Stein. Ja, ich glaube, dass das tatsächlich so ist und dass diese böse Lust an der Zerstörung,

dass die sehr, sehr ausgeprägt ist aus dem möglicherweise, aus dem von mir vorhin genannten Grund,

der unterdrückten Affekte, die man nicht rauslassen kann und dass man sich bei der Gelegenheit,

wo es legitim ist, Affekte rauszulassen, dass ich auch noch mal richtig gerne voll daneben

benimm, weil einem nichts passieren kann, weil dann entspricht es der Norm, dass man sich daneben

benehmen kann. Das geht dann und ist, ja. Und ich finde, ich finde, das ist eine so ungesunde

Kultur und wenn wir am Anfang darüber gesprochen haben, wir leben in dieser gereizten Gesellschaft,

ich meine, diese Gereizzeit wird ja dadurch immer noch weiter befördert und weiter befördert

und weiter befördert. Und wenn die sich noch weiter steigerte, das ist im Hinblick auf den

sozialen Kitt und auf den sozialen Frieden und so weiter in unserer Gesellschaft. Ich habe abschließend

gefragt, ist es das Thema, dass sozusagen Gefühle plötzlich so unfassbar wichtig geworden sind

und Fakten gar nicht mehr so entscheidend, also ich verinnerst dich, Edmund Stoiber hat, hat das,

glaube ich, als erster Messer scharferkannt, der große Philosoph und hat immer mal gesagt,

in der Politik sind Emotionen Fakten, Gefühle sind in der Politik Fakten. Und das, und ich glaube,

er hat dann total guten Punkt. Ich weiß noch einmal kurz zurück zu Jörg Kachelmann,

wann immer ich versucht habe, ihn zu verteidigen und zu sagen, pass auf, aber juristisch, es geht

um das Juristische. Was wirft man dem Mann vor? Da ist nichts und er ist jetzt auch freigesprochen

worden. Der Satz, der immer kam, war, egal, der hat es in jedem Fall verdient, weil der hat Frauen

schlecht behandelt. Aber das hat doch damit nichts zu tun. Genau. Am Ende bleibt die Vorverorteilung

stehen, auch wenn der Gegenstand für die ganze Empörung sich als nicht dich herausgestellt hat.

Und das ist völlig richtig, was du sagst. Also wir haben ja in unserer abendländischen Kultur

die Gefühle über Jahrhunderte und aber Jahrhunderte unterdrückt. Und das ging ja bis weit

in den 20. Jahrhundert hinein. Noch in den 60er, 70er Jahren. Also die Anzahl der Männer,

die da frei über ihre Gefühle geredet haben außer beim 7. Bier, die waren ausgesprochen gering.

Männer redeten nicht über Gefühle, Politiker redeten schon mal gar nicht über Gefühle,

aber ganz und gar nicht. Das hätte sie irgendwie als schwach und albern dargestellt. Man wusste

sich als Politiker immer als großer Checker, der rational alles durchdringend und weiß,

was er tut und wann der tat und so weiter. Das glaube ich auch schon mal erzählt,

das hat mich sehr beeindruckt, als Lothar de Maizière, der letzte Ministerpräsident der DDR,

als der in den Bundestag einzog, in den ersten gemeinsamen Bundestag nach der Vereinigung,

da wurde er gefragt, wie fühlen sie sich? Und der fand, das war die dämlichste Frage,

die ihm je gestellt worden wäre. Da meinte ich, ich bin nicht zum fühlen hierhin gekommen, sondern

zum arbeiten. Großartig, das passt so zu ihm. Ja, das passt so wunderbar zu ihm. Ich muss

ich dir erzählen. Lothar de Maizière, mit dem stand ich irgendwann mal in Salat d'Achel auf einem

Bootssteg in einem dunklen See südlich von Berlin. Und da war kein Mensch da und wir haben ein

Interview gemacht. Und plötzlich tritt aus einer Nachbar d'Achel, ein junger Mann, auch auf diesem

Bootssteg heraus und ich sagte ihm, kennen Sie, das ist ihr Nachbar. Er sagt, ja ja klar, das ist

der Sohn von Mielke. Da war es eine schöne Geschichte. Plötzlich war man mitten drin.

Auch jemand, der nicht berühmt für seine Gefühle war. Ein großer deutscher Jäger. Ja genau,

das war sein einziger Gefühl zur Auswahl. Da war nicht mehr ganz her seiner Sinne. Aber ich liebe

doch die Menschen, gar nicht verstanden, was ihm da wiederfährt. Richard, ja spannend, das ist ein

Thema, das ein echt nachdenklich zurücklässt. Und wie du sagst, irgendwie das Ding wieder zurückzudrehen.

Ich glaube, dass das nicht geht. Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Aber ich fürchte,

wir werden so nicht weitermachen können. So geht es auch nicht. Irgendwie werden wir einen besseren

Weg finden müssen, weil ansonsten werden die Verhärtungen immer weiter zunehmen und wir

zerlegen uns irgendwann wirklich gegenseitig. Das kann es nicht sein. Das ist ein besseres und

taurigeres Schlusswort hätte ich sicher sein können. In diesem Sinne, Richard, bis zum nächsten Mal.

Bis bald. Tschüss, Max.

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Warum sind wir eigentlich alle ständig so gereizt? Sind das gesellschaftliche Phantomschmerzen nach Corona? Und werden dieses Gefühle noch verstärkt, durch mediale Vorverurteilungen wie zum Beispiel im Fall Till Lindemann? Markus Lanz und Richard David Precht sprechen in dieser Folge über Fälle wie den des Rammstein-Frontmanns und fragen sich, ob dessen Beurteilung nicht besser bei der Staatsanwaltschaft aufgehoben wäre, als auf Magazin Covern. Auf der anderen Seite wurde der Fall des US-Filmproduzent Harvey Weinstein, der die #MeToo- Debatte auslöste, nur deswegen bekannt, weil der Journalist Ronan Farrow ihn an die Öffentlichkeit brachte. Kann es sein, dass wir alles vor allem zu schnell bewerten wollen?